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Der Brockenwicht: Seite 23

Die Bäume wurden größer, die Zweige der Tannen schlossen sich oben zu einem Gewölbe und der Steig verlief wie in einem Tunnel, in dem von der Decke vertrocknete Äste herunterhingen bedeckt mit alten klebrigen Spinnweben. Es wurde noch dunkler als zuvor und zu meinem Entsetzen nahm ich wieder die Schattenkobolde wahr, die wie Ratten an beiden Seiten des Pfades hin und her huschten und sich im Nu auflösten, wenn ich meinen Blick auf sie richtete. Und noch etwas ließ mich bis ins Mark erschaudern: Ich fühlte mich beobachtet! Hunderte von unsichtbaren Augen im Dickicht hinter der ersten Baumreihe verfolgten jede meine Bewegung und musterten interessiert jeden Teil meines Körpers. Was die finsteren Wesen, denen die Augen gehörten, mit mir vorhatten, entzog sich meiner Kenntnis, aber etwas Gutes versprach ich mir davon nicht, zumal ich gesehen zu haben glaubte, wie mal hier, mal da ein Paar von diesen Augen in der Dunkelheit mit fröhlicher Genugtuung aufleuchtete, als hätte sich jemand schon auf den besonderen Leckerbissen heute Nachmittag gefreut. Ich vernahm auch wieder das bedrohliche Flüstern und Fauchen aus dem Wald und ein tiefes bösartiges Knurren drang mir aus dem Dickicht ins Ohr.

Möglicherweise halluzinierte ich, denn klar denken und sehen konnte ich aufgrund der schwindenden Geisteskraft kaum noch. Die physische Kraft hatte meinen Körper ohnehin bereits verlassen und ich machte vermutlich schon die finalen Schritte vor dem Umfallen. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war eine hässliche Fratze mit rot unterlaufenen Augen, die mich aus einer Lücke zwischen den gifterfüllten Zweigen boshaft anstarrte. Ich holte mit dem Wanderstock aus, um den ungebetenen Besucher in die Flucht zu schlagen, als eine der gemeinen Wurzeln mich am Bein packte und zu Boden riss. Mit der bitteren Erkenntnis, dass jeder Widerstand aussichtslos war, spürte ich die Wurzeln mich an dem felsigen Untergrund festschnallen und hörte schon das grunzende Gejauchze der widerwärtigen Geschöpfe der Unterwelt, die jubelnd aus dem Wald strömten, um sich über mich herzumachen. Ich war dem Tode geweiht und es schien keine Möglichkeit zu geben, meinem grausigen Schicksal zu entrinnen.

Ich musste alsdann das Bewusstsein verloren haben, denn als ich die Augen öffnete, spürte ich keinen Druck der Wurzeln mehr auf meinem Körper, und soweit ich beurteilen konnte, war ich weitgehend unversehrt. Ich lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht, und rätselte darüber, was meine Wange so angenehm kühlte: Ein Granitstein oder der braune Schlamm auf dem Weg?

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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»Hihihi! Wohin des Weges, guter Mann?«, fragte mich spöttisch eine hohe Stimme, die so klang, als hätte jemand einen Heliumballon verschluckt.

Ich versuchte mühsam, meine Augen scharfzustellen.

»Sie haben dich schon fast gekriegt«, fuhr die Stimme fort, ohne eine Antwort abzuwarten.

Meine Augen erlangten langsam wieder ihr Sehvermögen und auf einmal sah ich vor meinem Gesicht ein Männlein auf dem Stein stehen von der Größe eines Eichhörnchens. Es lächelte mich niedlich an

»Wer, sie?« Meine Kraft reichte vorerst nur für diese einfache Frage.

»Wer denn sonst? Die Bösen natürlich!«, ereiferte sich der kleine Mann im Zapfenhut. »Wenn ich nicht rechtzeitig …«

»Und wer bist du?«, wollte ich wissen.

»Gestatten, der Brockenwicht!«, stellte er sich vor und deutete eine höfliche Verneigung an.

»Dann bist du doch der Böse!«, entgegnete ich.

Beleidigt kräuselte er seine Lippen und sagte dann gekränkt: »Wir sind die Guten!«

Meine Voreingenommenheit gegenüber den Waldbewohnern seiner Art musste ihn wirklich getroffen haben, denn ich merkte, wie sich ein Schleier der Trauer über sein drolliges Gesicht legte. Ich richtete mich auf und nahm Platz neben dem verärgerten Kobold auf dem Weg. Ich war es dem Wicht schuldig, schließlich hatte er mich angeblich aus dem Schlamassel herausgeholt, wenn man ihm glauben durfte. Das Fußgelenk, an dem mich die Wurzel gepackt hatte, schmerzte ein wenig und das linke Knie hatte vermutlich Abschürfungen davongetragen, denn es brannte höllisch. Meine rechte Gesichtshälfte, mit der ich auf dem Boden gelegen hatte, war mit Schlamm verschmiert und ehe ich weitersprach, wischte ich den Dreck so gut es ging mit dem Ärmel ab – das Hemd war ohnehin schon aus demselben Grund verschmutzt.

»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich, »aber wer seid ihr? Und was treibt ihr so im Wald, außer die Leute zu Tode zu erschrecken? Und außerdem: Was hast du überhaupt gemacht, dass die Ungeheuer verschwunden sind? Sind sie überhaupt real?«

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.822
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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