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Der Brockenwicht: Seite 15

Das Gelände stieg steil an, nachdem sich der Wanderpfad keine fünf Minuten später vor einer soliden Brücke von der Schotterstraße abermals getrennt hatte. Der Forstweg, der auf das andere Ufer gewechselt hatte, verlief irgendwo am gegenüberliegenden Hang der Schlucht, während der Heinrich-Heine-Weg sich diesseits schweißfördernd und kräfteraubend über Stock und Stein entlang des Flusses nach oben schlängelte. Der Teil mit dem »Berg« im Wort »Bergwanderung«, den ich bis jetzt eher als entbehrlich empfunden hatte, kam nunmehr voll zur Geltung. Ich spürte mit Unbehagen, wie mein Hemd und das Poloshirt, das ich zu Hause noch übergezogen hatte, unter dem Rucksack nass vom Schweiß wurden. Auf meiner Stirn perlten ebenfalls Schweißtropfen. Ich atmete schwer, während ich mühsam auf dem Pfad nach oben schritt, der mittlerweile ausschließlich aus großen kantigen Steinen bestand, zwischen denen sich dicke Baumwurzeln fest in die Erde krallten und das Vorankommen keinesfalls leichter machten.

»Willst du den zweiten Stock haben?«, erkundigte sich meine Frau und reichte mir den Wanderstock, mit dem sie die ganze Zeit gewandert war.

Wir hatten auch an den vergangenen Tagen die Wanderstöcke geteilt, solange das Gefälle es erlaubte, und es war bis jetzt fast immer der Fall gewesen. Nur ein einziges Mal, irgendwo bei Osterode, hatte ich den zweiten Wanderstock zur Hilfe nehmen müssen. Heutige Wanderung war von einem ganz anderen Kaliber, ich ließ es mir nicht zweimal sagen. Steile Anstiege, sie waren nicht so mein Ding, ich glänzte eher beim Abstieg in allen erdenklichen Farben, während Angelina jeden Hang nach oben wie eine Bergziege meisterte, auch ohne Wanderstöcke.

»Ich muss gleich die Jacke ablegen«, sagte ich zu ihr keuchend, als ich den zweiten Stock in meiner Hand hatte. »Mein Rücken ist schon komplett durchnässt. Lauf nicht weit weg. Warte auf mich, wenn du einen passenden Platz siehst.«

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Sie ging vor und ich versuchte nicht einmal, mit ihr Schritt zu halten. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, damit ich überhaupt vorankam. Es war zuweilen gar nicht so einfach, in dem Durcheinander aus Steinen und Wurzeln auf dem Weg eine Stelle zu finden, die dem Schuh einen sicheren, rutschfreien Untergrund bot. Obgleich die Wanderstöcke beim Aufstieg von einem unermesslich großen Nutzen waren, musste man bei jedem Tritt aufpassen, wohin man den Stock setzte. Schon ein paar Mal waren sie auf den Steinen beim Abstützen ausgerutscht und es hatte nicht viel gefehlt, dass ich zu allem Überfluss auch noch hinstürzte. Nunmehr suchte ich jedes Mal mit großer Sorgfalt nach irgendeinem passenden Spalt zwischen den Steinen, um dort die Stockspitze zu positionieren, bevor ich den Stock mit meinem Gewicht belastete. Vermutlich waren auch falsche Gummiaufsätze an den Spitzen angebracht, die für diese Art Wanderung nicht ganz geeignet waren, ich wusste noch nichts von diesen Feinheiten, mit dem Thema hatte ich mich nicht ausführlich befasst.

Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten entging mir nichts von der Schönheit der Schlucht, wo die Ilse wie losgerissen tobte und mit ungeheurer Wucht gegen die Felswände donnerte. Stellenweise sah sie nicht mehr nach Heines lustigem Mädchen aus, bei dem die ›silbernen Busenbändchen‹ am ›weißen Schaumgewand im Winde flattern‹. Nein, sie erweckte manchmal den Eindruck einer zornigen Gebieterin, die imstande war, schwere Steine zu bewegen und dicke Bäume wie Streichhölzer umzuknicken. Sie lagen gleich hier, die hundertjährigen Stämme, kreuz und quer an den Hängen. Doch nicht alle waren den Fluten der wütenden Ilse zum Opfer gefallen, die meisten wiesen eine glatte Schnittkante auf, die von nichts anderem als einer Kettensäge herrühren konnte. Die Nachfolger des Herrn von Zanthier hatten ihre Arbeit gewissenhaft verrichtet, an manchen Stellen lag unten so viel Holz, dass es für die Ilse gar kein Durchkommen mehr gab. Wie ein Biberdamm versperrten Äste und Stämme der gefällten Buchen dem Fluss den Weg, aber hin und wieder überbrückte auch eine vertrocknete, vom Borkenkäfer angenagte riesige Tanne die Schlucht wie ein Steg. Man konnte sich sicher über das Konzept der Naturbelassenheit im Nationalpark streiten, dessen Prämisse es war, alles, was aus dem Wald stammte, auch im Wald verrotten zu lassen, aber man gab den Naturschützern schließlich recht in vielen Punkten. Doch ob die absichtlich gefällten Bäume für die Ilsefälle in dieser Form besonders förderlich waren, wagte ich zu bezweifeln. Schön sah es auf jeden Fall nicht immer aus. Interessant, welche Ilse sah denn Heine? Die mit den abgesägten Bäumen oder die von vor …? Harry war immer noch nicht aufgetaucht, fiel es mir wieder ein! Wo blieb er eigentlich so lange? Ich vermisste ihn sogar schon! Ich wollte ihm eigentlich noch eine lustige Geschichte über Göttingen erzählen. Seine Erfahrungen mit dieser Stadt hatte nicht nur er gemacht. Ich hätte da auch noch was zu berichten gehabt. Er würde sich schon irgendwann wieder uns anschließen, hoffte ich.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.819
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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