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Der Brockenwicht: Seite 130

Er hatte uns also gefunden, so viel war zu der erfolgreichen Fluchtaktion von gestern anzumerken. Von Blocksberg musste auch in Bad Harzburg jeden Straßenzug abgefahren sein, bis er in einer Auffahrt den Karl stehen gesehen hatte. Gut, meinte ich, dadurch, dass er jetzt vor unserer Ferienwohnung stand, änderte sich vorerst nichts, seine Aufgabe lautete: Observieren. Knochenbrechen war erst im zweiten Schritt geplant, wenn ich Esmeralda zu ihrem Teufel schicken würde. Bis dahin konnte man sich noch relativ sicher fühlen. Aber sie, die kleine Hexe, sie machte mir richtig Sorgen. Ich war mittlerweile geneigt, die Geschichte vom Bahnhof aus meinem Traum für die Wahrheit zu halten. Sie war Leonie und Dominik gefolgt und würde es garantiert auch weitertun, bis sie herausgefunden hatte, wo die beiden in Halle wohnten. Mit welchen Ziel, wusste der Kuckuck. Um mich in Schach zu halten? Es wäre das kleinere Übel gewesen. Was, wenn sie mit von Blocksberg, oder auch ihrem Herrn vom Dienst, in Erfahrung gebracht hatten, dass Leonie auf eine besondere Art den Hexengeschichten zugetan war. Das Mädchen war auch schon gezeichnet, ich meinte vom Oberzwerg gebissen worden, – ob das nicht irgendeine Bedeutung hatte? Ich wollte mir das nicht ausmalen, es brachte eher nicht viel, Mutmaßungen anzustellen, man musste etwas dagegen unternehmen. Ich musste die beiden heute anrufen und warnen und dann musste ich noch gründlich überlegen, wie wir mit Geli unbehelligt in Richtung heimatliche Hütte abreisen konnten.

Ich setzte mich aufs Sofa zu dem Couchtisch, auf dem mein Notebook und ein Bildschirm ihren Platz hatten, es war Zeit, auch etwas fürs Geschäft zu tun. Nachdem ich meine dringendsten Sachen erledigt hatte, öffnete ich mein elektronisches Tagebuch, das ich seit einiger Zeit in jedem Urlaub zu führen pflegte. Aber viel weiter als der Datumseintrag »Dienstag, 06.07.2021« war ich auch nach fünf Minuten Überlegungen nicht gekommen. Der Satz »Ich war dort!« verunstaltete die sonst jungfräulich unschuldige Seite. Mehr fiel mir nicht ein, obgleich es so viel zu erzählen gab.

Immer mehr Licht fiel in die Wohnung durch die Dachfenster, der neue Tag kam in die Gänge. Ich sah mich im Zimmer um und bemerkte das Chaos, das wir gestern nach der Ankunft hinterlassen hatten, – überall lagen irgendwelche Wandersachen: Hosen, Schuhe, Jacken. Alles war noch feucht und verschmutzt. Wenn es mit dem Schreiben nicht funktionierte, konnte es ja möglicherweise mit dem Aufräumen etwas besser klappen, dachte ich mir. Die Rucksäcke mussten doch irgendwann geleert und die Kleidung getrocknet werden, bevor sie Schimmel ansetzte.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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So, was war das noch mal, fragte ich mich, als mein eigener Rucksack an der Reihe war und ich einen nassen Klumpen Stoff ans Tageslicht förderte. Ach so, meine Regenjacke. Ich warf sie auf den Boden. Und das? Ja klar, die Tüte mit den Frühstückseiern. Sie hatten die Wanderung heil überstanden und konnten gleich zum Einsatz kommen, wenn Geli aufwachte. Und was war das? Ich sah mir verblüfft ein gewisses Etwas an, das aus nassem Zeitungspapier bestand. Ja, richtig, Geli hatte ja irgendein Souvenir auf dem Brocken gekauft und mir in den Rucksack hineingesteckt. Was war es überhaupt? Ich wickelte eine Schicht Papier nach der anderen ab, bis ich endlich bis zum Inhalt gekommen war, und es verschlug mir die Sprache.

Es war der Brockenwicht! Ich meinte, es war eine Figur, eine Puppe, aber es war mein Brockenwicht! So wie ich ihn erlebt hatte – sogar jede einzelne Schuppe an seinem Zapfenhut stimmte mit denen überein, die ich gesehen hatte.

»Wie kommst du hierher?«, flüsterte ich und bekam keine Antwort. Es war eine Puppe.

Ich ließ alles liegen, setzte den Kleinen auf die obere Kante des Monitors und nahm Platz gegenüber auf der Couch. Sein drolliges Gesicht sah mich lächelnd an, seine Beine baumelten vor dem Bildschirm, auf einen Arm stützte er sich beim Sitzen ab und in dem anderen hielt er eine dicke Eichel. Jedes kleine Fragment unserer gemeinsamen Wanderung zog noch einmal vor meinen Augen vorüber, während ich krampfhaft versuchte, auch nur ein einziges Lebenszeichen in seinem Gesicht zu entdecken. Vergeblich, es war nur eine Holzfigur. Trotzdem war es derselbe Brockenwicht, der mich durch den Hexenwald geführt, bis zur Hermannsklippe begleitet und sich auf dem Brocken in meinen Rucksack hineingeschmuggelt hatte. Er war die ganze Zeit dabei gewesen, auch wenn ich ihn nicht gesehen hatte, – bei mir auf dem Rücken! Er hatte mit mir gesprochen, den Weg gezeigt und vor Gefahren gewarnt. Eigentlich war er derjenige, der mich heil vom Berg hinuntergebracht hatte. Die Flucht aus Ilsenburg hätte ohne seine Hilfe erst gar nicht funktioniert – mein Traum war keine Vision, genau das war geschehen. Der Wicht war auch jetzt noch bei mir, weil die Sache nicht ausgestanden und sein Auftrag noch nicht abgeschlossen war. Seinen Brockenwicht wurde keiner so einfach los! Das waren seine Worte gewesen. Sie hätte ich von ihm gerne noch einmal gehört, aber die Figur zeigte keine Regung. Der Wicht schwieg. Und ich schwieg auch.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.861
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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