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Der Brockenwicht: Seite 126

Ich ließ sie allein mit ihrem Glas Wein und begab mich ins Bad. Mit einem langen Vergnügen unter den warmen Wasserstrahlen war nicht zu rechnen. Die Dachschräge über der Badewanne machte es kaum möglich, den Duschvorgang zu genießen, denn ich musste meistens in die Hocke gehen, um mir nicht den Kopf blutig zu schlagen, doch eine kleine Erfrischung zu bekommen, lag durchaus im Bereich des Möglichen. Der Alkohol entfaltete seine Wirkung und ließ die Welt langsam in weichen Farbtönen erscheinen, während das von oben plätschernde Wasser den Körper verwöhnte. Aber schon bald merkte ich, dass mich das fröhliche Geplätscher an die Geräusche der unterirdischen Wasserschnelle der Verdeckten Ilse erinnerte, und zwar mit allen darauffolgenden unangenehmen Vorkommnissen. Die Bilder vom Schwarzen Wald standen wieder vor meinen Augen. Ich machte das Wasser aus und schob den Duschvorhang beiseite. Morgen, heute nicht mehr.

Wir löffelten unsere chinesische Instantsuppe mit Nudeln und Hühnergeschmack. Sie schmeckte grausam, aber der Wein machte einem die Folter erträglicher, ich trank ein Glas nach dem anderen, bis auch die zweite Flasche nur zu einem Viertel voll war. Ich war betrunken, stand auf und ging noch einmal leicht torkelnd auf den Balkon hinaus. Über dem Gebirge tummelten sich dichte Wolken, aber im Westen gab es noch Lichtblicke. Die hinterm Horizont untergegangene Sonne beleuchtete mit den letzten, purpurroten Strahlen eine seltsame, zum Anfassen tief hängende Wolkenformation, die sich wie ein kompakter Kondensstreifen über die ganze Himmelsbühne von Nord nach Süd zog. Sie wirkte unheimlich und es schien, als würde sie um ihre eigene Achse rotieren. Das erforderliche Urteilsvermögen, um es irgendwie zu ergründen, konnte ich heute nicht mehr aufbringen, befürchtete ich, und ließ es schließlich sein.

»Ich wünsche Ihnen noch eine geruhsame Nacht«, sagte ich mit lallender Stimme zu meiner Frau, als ich ins Zimmer zurückkehrte, und fiel ins Bett.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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Ich schlief schlecht. Der Regen prasselte die ganze Nacht gegen die Glasscheibe des Dachfensters über unserem Bett. Ich träumte von unseren Abenteuern – von unserer Flucht aus Ilsenburg, um genau zu sein.

 

»Hihihi«, erklingt plötzlich in meiner Traumwelt die unvergessliche Stimme des kleinen Weggefährten. »Du hast die Gefahr wieder nicht erkannt, Amateur! Sieh mal nach hinten!«

Ich folge seiner Aufforderung und sehe im Rückspiegel, wie hinter uns eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben durch die Einfahrt auf die Straße fährt. Vorhin habe ich das Auto tatsächlich nicht auf dem Parkplatz bemerkt, der Wicht hat recht.

»Ich glaube, wir kriegen Besuch«, informiere ich den Rest über das nächste Unheil, das uns drohen könnte, wenn wir uns nicht beeilen.

Es ist ein äußerst merkwürdiges Gefühl: Zuweilen kommt es mir vor, ich würde neben dem Wagen herfliegen und alle Insassen durch die Scheiben beobachten, mich selbst mit eingeschlossen, doch im nächsten Augenblick empfinde ich mich wieder als Teil meiner selbst und sehe die Dinge aus meiner eigenen Perspektive auf dem Fahrersitz. Der Brockenwicht sitzt bei mir auf der linken Schulter, gibt Anweisungen und behält die Straße im Blick.

»Es geht wieder los!«, höre ich Dominiks Stimme und auch Angelina fragt ängstlich vom Beifahrersitz: »Wer ist das?«, während Dominik weiterspricht: »Aber wenigstens kann ich etwas sehen und nicht immer raten, aus welcher Richtung Gefahr droht. Fahr jetzt geradeaus, an der ersten großen Kreuzung in der Stadt rechts abbiegen.«

Fast zeitgleich mit ihm spricht der Brockenwicht: »Bleib auf dieser Straße und in der Kurve fährst du geradeaus weiter durch die Stadtmitte.«

Es sind zwei Hinweise, die sich gegenseitig ausschließen, denn wenn ich es richtig verstehe, meinen beide dieselbe Kreuzung. Von der Seite sehe ich, wie Dominik auf dem Bildschirm seines Smartphones unsere Route verfolgt, er liegt bestimmt nicht falsch mit seiner Fahrempfehlung, denn er hat den Stadtplan vor sich, aber ich sehe auch den Brockenwicht bei mir auf der Schulter, er hat zwar kein Navigationssystem in der Hand, wirkt aber aufs Äußerste konzentriert, hinter seiner gerunzelten Stirn arbeitet es. Er weiß etwas, was ein Smartphone nicht wissen kann. Die Limousine bleibt uns dicht auf den Fersen.

»Hier hättest du abbiegen sollen!«, ruft Dominik enttäuscht, wenn ich weiter geradeaus fahre.

»Schicksal«, tue ich so, als hätte ich die Kreuzung übersehen. »Verdammt, wo sind wir hier?«

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.861
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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