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Der Brockenwicht: Seite 121
»Es ist ja noch ein schönes Stück zu gehen«, meldete sich Dominik wieder. »Der Bahnhof ist am anderen Ende der Stadt.« »Nee, nee«, protestierte ich prompt, »wir nehmen euch natürlich mit bis zum Bahnhof! Das Auto steht hier nicht weit auf einem Parkplatz. Wir können uns ja auch schon so langsam in Bewegung setzen.« »Vielen Dank auch. Ach, bevor ich es vergesse«, erinnerte er sich auf einmal, »ruf mich mal grade an, damit ich eure Nummer habe! Wir bleiben in Verbindung, oder?« Ich tippte im Telefon die Nummer ein, die er mir auf seinem Bildschirm anzeigte und sagte: »Ja, nach all dem, was wir gemeinsam erlebt haben!« »Genau«, stimmte er zu und drückte meinen Anruf weg, der bei ihm gerade einging. »So, die Nummer habe ich jetzt.« Meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Die fluchtartige Wanderung der letzten Stunde hatte mir den Rest gegeben. Ich fiel allmählig zurück, aber auch Leonie schritt immer langsamer und blieb in meiner Nähe. Möglicherweise war es nicht die ganze Wahrheit gewesen, als sie gesagt hatte, dass sie nichts mehr von der Verletzung merkte. Wie auch immer, wir gingen auf dem gepflasterten Bürgersteig erschöpft nebeneinanderher und unterhielten uns. »Wo kommt ihr denn eigentlich her?«, erkundigte ich mich. »Wir sind aus Halle! Wir studieren dort und wollten mal im Harz eine Woche verbringen. Es sind Ferien.« Wenn das abermals kein Zufall war, dachte ich im Stillen. Erst neulich hatte ich hallesche Studenten beim Abstieg vermisst. Nun stellte es sich heraus, dass ich wie Harry, allerdings nur mit zwei Vertretern der angehenden Akademiker, vom Brocken nach Ilsenburg hinuntergewandert war. Laut sagte ich: »Ah so! Es ist ja ganz in der Nähe. Nein, unsere Anreise war etwas länger, wir sind aus Meckenheim bei Bonn.« »Ach, nee! Eine Freundin von mir kommt aus Euskirchen. Es ist doch nicht weit weg?« »Ist nur ein Sprung!«, scherzte ich. »In dreißig Minuten ist man da.« Wahrlich, Zufälle gab es heute auf Schritt und Tritt. Der ganze Tag war ein einziger böser Zufall! Oder doch ein von langer Hand geplanter feindlicher Übergriff, der noch ein langes Nachspiel nach sich ziehen würde? Wer wusste es schon …? »Sag mal«, wandte sich Leonie an mich, »du hast ja gesagt, bei unserer Geiselnahme war noch eine junge Hexe dabei, die wir nicht gesehen haben. Richtig?«
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»Ja«, gab ich müde zurück. »Ein dummes Mädchen.« Die ganze Fragerei bezüglich der Geiselnahme ging mir aus gewissen Gründen gegen den Strich, aber: Okay, was sollte es? »Welche Rolle spielt sie denn bei der ganzen Sache?«, fragte mir Leonie Löcher in den Bauch. »Na ja …«, antwortete ich zunächst etwas verwirrt, »du musst es ja auch mitbekommen haben. Sie soll als Köder benutzt werden, auf den die Trottel aus dem Internet reinfallen.« »Das hat mir schon Dominik erzählt, ich kann mich nur schwach an Einzelheiten erinnern. Aber das meine ich nicht. Warum war sie überhaupt dabei? Ich meine, sie ist ja eine Halbhexe, hast du gesagt.« »Sie war eine Halbhexe, als ich sie getroffen habe. Mittlerweile wird sie wohl ihre Prüfung, wenn man es so nennen darf, zur Vollhexe schon abgelegt haben.« Ich überlegte schon die ganze Zeit, worauf die gute Leonie hinauswollte und konnte mir darauf keinen Reim machen. »Und wie hast du sie getroffen?«, bohrte sie unentwegt weiter. »Sie wollte sich um jeden Preis mit dem Pferdefuß vereinigen, damit er sie zu Hexe macht! Oben vor dem Kleinen Brocken stand sie plötzlich im dreckverschmierten Nachthemd neben dem Weg und wollte, dass ich ihr helfe und nach oben führe.« »Was ist daraus geworden?« »Nichts. Sie wurde von … Ach, Leonie, das ist eine lange Geschichte. Ich kann euch mit Dominik was darüber schreiben, wenn du willst.« »Okay. Ich hab mich nur gefragt, was dein ehemaliger Geschäftspartner, der Erpresser, mit der Hexe zu tun hat. Entscheidet er irgendwie, wer Hexe wird und wer nicht, oder warum hat er ihr Anweisungen gegeben?« Da hatte ich den Salat. Lügen hatten doch kurze Beine, das hätte ich eigentlich wissen müssen. Ja, Leonie, der Erpresser hatte ganz bestimmt über so etwas zu entscheiden, um nicht zu sagen, er war der Einzige, der aus den kleinen Hexchen boshafte Furien machte. Aber warum interessierte dich es eigentlich?
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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