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Der Brockenwicht: Seite 116

»Pst.« Ich legte den Zeigefinger auf den Mund und gab ihm mit den Augen zu verstehen, dass er leise sein sollte. Die Aufforderung galt auch für Angelina, die sich ebenfalls interessiert umsah und gleich etwas gesagt hätte, so wie ich sie kannte.

Die beiden schauten mich leicht irritiert an.

»Leonie«, flüsterte ich dem Mädchen zu, »bist du sicher, dass du drei normale Jungen siehst?«

Sie blickte mich voller Verwunderung an und flüsterte zurück: »Ja, natürlich. Es sind doch drei Jungs, die gerade hinter den Sträuchern laufen. Oder wen meinst du?«

Ja, ich hatte natürlich auch die drei Jungs gemeint, die sich gerade dem kleinen Rastplatz näherten, wo Geli auf dem Hinweg ihren ersten Imbiss genommen hatte. Aber normal waren die drei definitiv nicht. Um noch einmal zusammenzufassen: Ich sah Gespenster, Leonie Menschen, Dominik gar keinen und Geli … keine Ahnung, was sie sah, ich vermutete, ebenfalls nichts. Ich konnte nur nicht nachvollziehen, wieso ich neuerdings diesen Röntgenblick hatte. Was hatte das Ganze wieder zu bedeuten? Der Spuk musste doch irgendwann ein Ende haben, verdammt!

Doch bis zum Ende war allem Anschein nach noch ein weiter Weg, denn im nächsten Augenblick hörte ich wieder das bösartige Geflüster der abscheulichen Waldgnome. Es kam von der Bremer Hütte. Wie eine Lawine wälzte sich ein Strom aus dem Hexenwald den Heineweg hinunter, der aus grauen Schattenknäueln bestand, welche sich wie durch einen Teilchenbeschleuniger katapultiert rasend schnell hin- und herbewegten, ungreifbar für das menschliche Auge, und folgte über die Schotterstraße den drei Knochenmännern auf den Wanderpfad. Die Prozession schloss der boshafte Oberzwerg ab.

»Was ist das für ein Geräusch?«, hauchte mir auf einmal Leonie ängstlich ins Ohr.

»Runter!«, bewegte ich meine Lippen im Stummschaltmodus und gab mit der Hand ein unmissverständliches Zeichen, dass sich alle um Himmels willen ducken sollten und sich schleunigst hinter dem Geländer versteckten.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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So wie ich die Sache einschätzte, wären wir verloren gewesen und wie die drei gespenstischen Wanderer feierlich nach unten zur Türmchenstadt mit allen Ehren geleitet worden, wenn jemand von der elenden Zwergbande uns gesehen hätte. Stopp! Mein Gehirn lief auf Hochtouren, während ich mucksmäuschenstill hinter der Brüstung kauerte: Vielleicht war ja das, was ich gerade gesehen hatte, genau das, an was ich dachte? Die glorreiche Rückkehrt der erfolgreichen Jäger zu der heimatlichen Hütte mit ansehnlichen Jagdtrophäen. Vielleicht war es für die drei Unglücklichen das Ergebnis der unheilvollen Begegnung mit den widerlichen Zwergen, die ihnen das Fleisch vom Leibe gefressen hatten und nun die schmackhaftesten Teile in die Stadt als selbstwandernde Beute brachten, um sich dort mit Kind und Weib über die heißbegehrten Knochen gefüllt mit nahrhaftem Knochenmark herzumachen? Das Beste zum Schluss! Der Brockenwicht hatte mir seinerzeit gesagt, erinnerte ich mich, er wisse es nicht so genau, was die bösartigen Kreaturen mit den Menschen machten, wenn sie sie in die Finger bekamen. Möglicherweise hatte ich es zufällig herausgefunden, aber ich wünschte mir, ich hätte es lieber nicht getan.

Nahm man an, dass die wilde Theorie auch nur zum Teil stimmte, würde sie auch die Sache mit Leonie erklären. Insbesondere ihre unnatürlich aussehende Narbe. Seine Zähne hatte in ihren Oberschenkel auch kein anderer hineingelassen als einer von dieser scheußlichen Sippe von Gnomen, wie auch bei den Geisterwanderern. Nur dass ich es bei dem Mädchen nicht so weit hatte kommen lassen, sonst wäre das Ergebnis gleich gewesen, ihr ganzer Körper hätte wie eine Röntgenaufnahme ausgesehen. Es hatte rein gar nichts mit irgendeinem Röntgenblick zu tun, der Speichel der Biester schien vielmehr irgendeine Substanz zu enthalten, die die weichen Teile auflöste und die begehrten Knochen zum Vorschein brachte. Deswegen war bei der jungen Frau nur die Bissstelle von dem unerklärlichen Phänomen betroffen. Sie war vom Unheil gezeichnet, ging mir allerhand mystisches Zeug durch den Kopf, daher konnte sie die Jungen noch so sehen, wie sie vor dem Überfall der Schattenzwerge ausgesehen hatten, daher konnte sie neuerdings auch das boshafte Geflüster der abartigen Geschöpfe hören – ich erinnerte mich noch, wie sie mich bei ihrem Auftauchen danach gefragt hatte.

Ich musste wohl unsere kleine Wandergemeinschaft über die Umstände aufklären, mit denen wir es hier zu tun hatten, beschloss ich. Jeder sollte Bescheid über die Gefahren wissen, denen er sich aussetzte. Weiteres Schweigen hätte ich nicht mehr verantworten können.

»Ich glaube, sie sind jetzt weg«, mutmaßte ich vorsichtig, nachdem ich mit Bedacht über die Brüstung geschaut hatte, als das Zwerggeflüster verstummt war.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.859
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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