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Der Brockenwicht: Seite 112
»Aua, es kribbelt so im Bein!« »Ja, es ist eingeschlafen«, beruhigte Geli die Kleine, »Die Adern füllen sich wieder mit Blut. Es ist gleich vorbei.« Dominik kehrte zurück mit einem dicken Ast in der Hand. Er befreite ihn mit dem Messer von den kleineren Zweigen und brach die Spitze passend ab, damit die Länge der Schiene in etwa stimmte. »Versuche dich mal aufzurichten und hinzusetzen«, bat ich Leonie. »Autsch!«, schrie sie kurz auf, als sie das verletzte linke Bein von der Bank hinunterließ, um normal sitzen zu können. Es ging also noch nicht, überlegte ich. Zumindest konnte sie das Bein noch nicht ohne große Schmerzen beugen. »Okay«, sagte Dominik zu ihr, »streck mal das Bein auf der Bank aus, ich lege dir die Schiene an.« Er wickelte den rauen Stock in allerhand Kleidungsstücke ein, damit er nicht an der Haut scheuerte, und befestigte die Schiene mit dem vorhandenen Gurt am Oberschenkel. »Jetzt brauchen wir noch zwei kleinere Gurte«, sagte er, während er die Rucksäcke erneut unter die Lupe nahm. »Der an der Seitenklappe müsste passen, glaube ich.« »Oder noch besser«, sprach ich dazwischen, »nimm doch die Zuziehschnur am oberen Ende, sie reicht direkt für zwei Stricke.« »Stimmt, danke!« Der Junge machte sich an die Arbeit. Zehn Minuten später waren wir marschbereit. Das Bein war fest an der Schiene fixiert, sie verhinderte, dass sich das Körperteil an jeder anderen Stelle als am Hüftgelenk bewegen konnte. Leonie konnte sogar stehen, wenn sie nur das gesunde Bein mit ihrem Körpergewicht belastete. Das linke Bein hing leicht angewinkelt einfach in der Luft unter meiner Regenjacke, die sich das Mädchen an den Ärmeln um ihre Taille wie einen Rock umgebunden hatte. Ich bat alle inständig, ihre Smartphones auszuschalten, um nicht noch zu allem Überfluss von weiteren Verbrechern geortet zu werden, und bekam erstaunlicherweise keine anderslautenden Meinungen zu hören, sogar die jungen Leute zeigten sich einsichtig. Wir brachen auf nach Ilsenburg.
(?)
Es hatte aufgehört zu nieseln, der Himmel lichtete sich langsam wieder und erfreulicherweise waren weit und breit keine Schattenzwerge, Hexen, Hutmacher oder Teufel und dergleichen zu sehen. Langsam und äußerst mühsam, aber wir kamen voran. Leonie hatte ihre ausgebreiteten Arme uns mit Dominik um den Hals gelegt – wir stützten sie von beiden Seiten mit unseren Schultern, der Junge links, ich rechts – und machte einen kleinen Schritt nach dem anderen, wobei sie mit dem angeschlagenen Bein kaum den Boden berührte, sondern vielmehr an uns einen Augenblick hängen blieb, um das gesunde Bein vorzuschieben. Angelina schritt uns hinterher und trug zusätzlich den Rucksack von Dominik in der Hand, der neuerdings keine Schultergurte mehr hatte und etwas umständlich wie ein schwerer Reisekoffer ohne Handgriff zu handhaben war. Zuweilen war es ziemlich ermüdend, als Teil dieses merkwürdigen Gespanns durch die Gegend zu marschieren, denn die junge Frau war fast um einen Kopf kleiner als ich und ich war die meiste Zeit gezwungen, mich in leicht gebückter Stellung fortzubewegen, um ihr eine Stützmöglichkeit zu bieten. Wenn es mir mal zu viel wurde, übernahm Dominik und trug seine Freundin eine Weile huckepack, während ich daneben lief und auf ihr ausgestrecktes Bein aufpasste, das ich mit der Hand in der richtigen Position zu halten versuchte. Manchmal hielten wir auch an und atmeten etwas durch, um nach fünf Minuten erneut unsere Marschformation zu bilden. Irgendwo hinter dem Wald war wieder die Sonne herausgekommen und es wurde wesentlich heller auf dem Forstweg, trotzdem freute ich mich unbeschreiblich, als wir endlich den Rand des Schwarzen Waldes erreicht hatten und ins richtige Licht hinausgekommen waren. Vor uns lag eine waldfreie Gegend, durch die sich unser Schotterweg schlängelte. Wir stoppten kurz und ich sah mich um. Links von uns erhöhte sich ein Hügel, er war mit Wald bedeckt, der in einem breiten Streifen wie ein dunkelgrüner Strom bis hinter meinen Rücken hinabfloss, bis er sich mit dem Schwarzen Wald vereinte. Es gab einen Grund zur Annahme, dass wir diesen Hügel heute Morgen bereits bestiegen hatten und der Wald kein anderer war, als der, den wir als Hexenwald bezeichnet hatten. Es war wirklich ein und dieselbe Waldung, der Wicht hatte r… Wo war der Kleine eigentlich? Zuletzt hatte ich von ihm etwas gehört, als wir auf Mephisto getroffen waren, seitdem herrschte Funkstille. »Hey du, Wicht!« Ich provozierte ihn gedanklich. Nein, ich bekam keine Antwort! Er hätte garantiert eine kritische Bemerkung bezüglich seines falsch ausgesprochenen Namens gemacht, wäre er noch hier gewesen. Das war ein Ding. Der Wicht war weg! Verschwunden! Ohne sich verabschiedet zu haben!
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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