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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 93
»Das wäre natürlich Mist, wenn wir gleich in dem Nebel da wandern müssen!«, sagte ich besorgt und nahm einen großen Schluck Limonade aus der Flasche, um das Kochschinkensandwich hinunterzuspülen. »Müssen wir jetzt nach da gehen?« Geli biss ein Stück von ihrem hartgekochten Ei ab und nahm von der Serviette eine der Tomatenhälften, die sie vorhin schon vorgeschnitten und vorgesalzen hatte. »Ich bin mir sicher. Die Tour heißt ja auch Kammwanderung und das ist der Kamm!« Wir waren mit dem Essen schon fast fertig und ich fischte noch die letzten Stückchen atum vom Boden der Konservendose, der sehr an einen Thunfisch erinnerte und auch nichts anderes war, als Geli plötzlich aufhorchte und ihren Blick den Pfad hinunterrichtete. Ich kam ihr zuvor. »Ja, ich habe die Stimmen auch gehört! Es sind sogar französische Stimmen, wenn du mich fragst. Müssen sie ausgerechnet jetzt hier vorbei?« »Man kann nichts machen!«, sagte meine Frau und fing an, Essensreste und Verpackung in eine Mülltüte wegzuräumen. An dieser Stelle gab es keine andere Möglichkeit, als den Weg frei zu machen, um die Wandergruppe durchzulassen. Man musste auch selbst auf dem Pfad bleiben und jedem französischen Blick begegnen. Zu meiner Freude war es nur eine kleine private Wandergesellschaft, die aus zwei Frauen und einem Mann bestand. Sie tauchten auch gleich zwischen den kahlen Baumstämmen auf, nachdem die letzten Spuren unserer Mittagspause auf dem Treppchen beseitigt worden waren. Sie waren ja wieder so was von fit, dass in mir abermals leichte Neidgefühle erwachten. In voller Wandermontur – Stöcke, Schuhe, enge Leggings, elegante Rucksäcke – bewegten sie sich unbeschwert und leicht auf einer Route nach oben, die im Wanderführer mit dem Vermerk »für konditionsstarke Wanderer« versehen war. Sie mussten nicht einmal schwer atmen, als sie an uns vorbeischritten, ihr Bonjour sagten und erneut im Dickicht des abgebrannten Lorbeerwaldes verschwanden, als wären sie nie da gewesen, nur die Stimmen, die oben am Hang noch zu hören waren, bestätigten ihre reale Existenz. »Jetzt ist das ganze Mittagessen total verkorkst!«, ärgerte ich mich. »Hast du noch Hunger? Ich kann das Essen noch mal herausholen, wenn du willst«, schlug Angelina vor. »Nee, lass mal. Ich könnte jetzt nicht noch einmal mit dem Essen anfangen. Die Nachspeise bleibt heute aus, den Joghurt können wir auch irgendwann später essen.«
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![]() Pico Grande auf der anderen Talseite Wir nahmen nochmals Platz auf der felsigen Stufe, tranken ein paar Schluck und rauchten die Verdauungszigarette. Ich schaute durch den blattlosen Wald nach unten in das Nonnental, es war wirklich tief. Eine Zeit lang hatte man angenommen, dass es ein riesiger Krater eines ruhenden Vulkans war – eine Theorie, die später verworfen und dennoch, soweit ich wusste, nie richtig widerlegt worden war. Es konnte immer noch eine als Schlucht getarnte Caldera sein. Ich sah den Curral das Freiras aus einem anderen Blickwinkel als vom Pico Grande aus und verglich unwillkürlich die Bilder. Mein Blick wanderte den Westrand des Kessels entlang, während ich überlegte, ob die Stelle, an der wir uns jetzt befanden, damals sichtbar gewesen war. Auf einmal wurde es mir bewusst, dass der große Berg auf der anderen Seite des Tals der Pico Grande war. Er lag schon seit dem Aufstieg auf den Pico Ruivo vor uns, ich hatte den Berg bereits von der Aussichtsplattform auf der Spitze bewundert, aber den alten Bekannten nicht erkannt. Vor zwei Wochen hatten wir an seiner Flanke von unten nach oben geschaut und nur einen wolkenverhangenen felsigen Hügel gesehen, heute präsentierte er sich in seiner vollen majestätischen Pracht. Es war ein riesengroßer Felsbrocken, der das komplette Panorama beherrschte, sein Gipfel war durch Naturgewalten abgerundet, aber in der Mitte ragte noch ein kleiner spitzer Felsen empor, der dem stolzen Berg noch erhalten geblieben war. Auf diese Spitze hatte Jean-Luke seine Franzosen geführt. Sie konnten mit Stolz behaupten, den Pico Grande bezwungen zu haben. Im Vergleich zu der Tour von Achada do Teixeira zum Pico Ruivo, war es wirklich etwas, worauf man stolz sein konnte. »Sieh mal, dort haben wir Jean-Luke zum letzten Mal gesehen!«, sagte ich zu Geli und stand auf, damit ich ihr die Stelle an der Seite des Gipfels besser zeigen konnte. »Wo? Ich kann nichts erkennen!« Geli stand ebenfalls auf und sah interessiert hin. »Siehst du links vom Berg so einen Sattel auf dem Scheitel?« Ich zeichnete mit dem Zeigefinger in der Luft die Kontur des Sattels nach. »Ja.« »Das muss der Pass sein, wo wir standen, als die Franzosen vom Gipfel herunterkamen«, mutmaßte ich. »Das glaube ich nicht. Es sieht ganz anders aus«, widersprach meine Frau. »Was sieht anders aus?« »Na ja, es gibt da keinen Platz, um zu stehen. Der Berg ist so steil. Wo kann denn da der Pfad nach unten laufen?«, fragte sie naiv. Mein Gesicht sprach Bände, laut sagte ich nur: »Ja, es ist der Hang, den du hinunterspazieren wolltest, um in ein Taxi einzusteigen!« Angelina sah mich vorwurfsvoll an.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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