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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 92

»Ich weiß nicht, keine Ahnung!« Das Bild rief auch bei meiner Frau gewisse Bedenken hervor, ob wir hier am richtigen Ort waren.

»Doch, das muss er sein. Im Büchlein steht, dass es am Pico Ruivo eine Wirtschaft gibt, und da ist sie, glaube ich.« Ich zeigte auf das weiß angestrichene Haus unterhalb der Bergspitze, das hinter einem Felsvorsprung hervorschaute.

Jetzt war ich aber richtig enttäuscht. Wir hatten uns doch nicht zwei Wochen lang auf eine Wanderung vorbereitet, um einen mittelmäßigen Hügel auf einem Bergkamm zu besteigen. Wem konnte ich denn später erzählen, ich hätte den höchsten Berg Madeiras erklommen? Er hätte mich ausgelacht! Es war mir bewusst, dass man die majestätische Größe eines stolzen Berges nur aus einer gehörigen Entfernung wahrnehmen konnte und nicht etwa, wenn man an seiner Flanke herumkrebste. Es war aber trotzdem bitter. Erwartet hatte ich steil abfallende Felswände, an denen man sich richtig anstrengen musste, um den Gipfel zu erreichen, bekommen hatte ich einen größeren Erdhügel im Hochgebirge, der als Ziel einer komfortablen Belustigungstour für das Touristenvolk diente.

Als wir das Einkehrlokal am Pico Ruivo erreicht hatten, kam ich mir vor wie auf dem Bauernmarkt in Funchal. Auf dem größeren Vorplatz wimmelte es von Wanderern. Die einen kamen, die anderen gingen, manche wollten vor dem langen Weg nach unten noch schnell zu Mittag essen und ihre Kollegen, die den Aufstieg noch vor sich hatten, standen Schlange, um die Wasservorräte am Brunnen aufzufüllen. Wir machten eine kurze Rast, denn man kam beim Aufstieg immer außer Atem, unabhängig davon, wie gut der Weg ausgebaut war. Außerdem konnte man auf den letzten paar hundert Metern keinen Schrittrhythmus mehr halten. Nach der Einmündung des Pfades vom Pico do Arieiro ging es nur im Schneckentempo weiter. Der Verkehr stockte pausenlos und machte mich wütend.

Ich war also heilfroh, dass wir die belebte Fußgängerzone am Fuße des Gipfels endlich verlassen hatten und nunmehr auf der Wanderroute 1.3 an der Nordwestflanke des Pico Ruivo entspannt nach unten liefen, ohne auch nur auf einen einzigen Menschen zu treffen. Glücklicherweise wurde der Abzweig zum Encumeadapass von den allermeisten Besuchern des Pico Ruivo konsequent gemieden.

»Sollten wir uns nicht mal umsehen, wo wir Mittag machen können?«, fragte ich Geli, als wir weit genug vom Pico Ruivo waren.

»Wo willst du denn hier essen?«, stellte sie ihrerseits eine berechtigte Frage, denn die Gegend war für ein Picknick wenig geeignet.

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Verbrannter Wald
Verbrannter Wald

Eigentlich lief der Pfad durch einen dichten Lorbeerwald. Eigentlich ja! Ich stellte mir vor, wie schön es gewesen wäre, sich auf einer saftig grünen Wiese an einem schattigen Plätzchen unter den Bäumchen niederzulassen, deren Kronen sich oben zu einem Dach schlossen, und auf einem ausgebreiteten Tuch einen reichlich gedeckten Tisch herzuzaubern. Es gab aber eine Kleinigkeit, die meinen Traum zunichtemachte: Der Wald war noch da, aber er spendete keinen Schatten mehr – ein Waldbrand hatte nach sich nur kahle Äste und verkohlte Baumstämme hinterlassen, die Wiesen glichen einem ausgedörrten Acker.

»Dann machen wir uns einfach hier auf dem Pfad breit! Es ist eher keiner da. Dort auf den Stufen!«, schlug ich vor, als ich vorn eine Treppe sah, die den Hang hinunterführte. »Man kann darauf relativ gut sitzen.«

»Von mir aus«, ließ sich Geli ungern auf meinen Vorschlag ein.

»Hast du denn noch keinen Hunger?«

»Doch«, antwortete sie. »Aber da ist so viel Staub auf dem Weg. Darauf zu sitzen ist kein großes Vergnügen.«

»Egal«, beharrte ich auf meinem Vorschlag. »Keine Ahnung, was uns noch später erwartet. Es ist schon halb eins und ich habe richtig Hunger!«

Wenn bei der Vorbereitung dieser Wanderung etwas außer Acht gelassen worden war, so war es nicht das Essen und es waren auch nicht die Wasservorräte. Gestern in Ribeira Brava hatte ich penibel darauf geachtet, dass alle nötigen Sachen in den Einkaufskorb kamen, als wir nach dem Strandausflug noch durch die Stadt zum Busbahnhof gegangen und auf einen kleinen privaten Lebensmittelladen gestoßen waren. Wir hatten genug, sogar für den Fall, dass wir in den Bergen stecken geblieben wären und neben dem Pfad hätten übernachten müssen. Ich hatte heute Morgen noch einmal überprüft, bevor wir losgingen, ob auch alles wirklich in unseren Rucksäcken lag. Es machte den Rucksack um Einiges schwerer, allein die zwei Eineinhalbliterflaschen brachten schon drei Kilo auf die Waage, aber es war eine Art Last, die ich gerne mit mir trug.

Das Zentralmassiv hüllte sich langsam in Wolken, während wir unsere Mahlzeit genossen, nachdem wir es uns auf dem Treppchen bequem gemacht hatten. Die Wetterscheide, über die gleich unser Weg verlaufen sollte, konnte man an den aufwallenden Wolkenschwaden erkennen, die von der Nordseite kamen und am Gebirgskamm hängen blieben. Nach Süden zu war der Himmel wolkenfrei, es boten sich tiefe Einblicke in das Nonnental. Hinter uns sah man noch immer die Spitze des Pico Ruivo und aus dieser Perspektive schaute er nicht mehr wie ein harmloser Hügel aus.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 12.012
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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