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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 91
»Es geht los!«, sagte ich, als ich sah, dass der Pfad vorn auf die Flanke eines beachtlichen Hügels zulief und kurz unterhalb der Kuppe auf seiner anderen Seite verschwand. »Du schaffst es schon«, ermutigte mich Geli. »Klar schaffe ich das! Es ist doch ein Klacks gegenüber dem Königspfad. Die zwei Omas werden es ja auch schaffen!«, sagte ich und meinte zwei ältere Frauen in Strandhüten, die fünfzig Meter vor uns in dieselbe Richtung spazieren gingen. »Was hast du gegen den Königspfad?«, fragte Geli voller gespielter Ahnungslosigkeit. »Nix, alles bestens! Die Begegnungen dort waren sehr aufschlussreich. Komm, lass uns die Frauen noch vor dem Anstieg überholen, sonst atmen wir ihnen den ganzen Weg in den Nacken!« Wir legten zu an Tempo. Der Pfad war breit genug, um zu zweit ungehindert nebeneinander gehen zu können – hier wurde an alles gedacht, um es den Wanderern so bequem wie möglich zu machen –, nur zum Überholen und bei Gegenverkehr bildete man eine Kolonne, um aneinander vorbeizukönnen. Meine erste Bewährungsprobe nach dem Pico-Grande-Desaster stand unmittelbar bevor, nachdem die zwei Damen uns Platz auf dem Weg gemacht und wir sie überholt hatten. Ein lang gezogener Aufstieg zur Bergkuppe, das war etwas, was ich schon kannte, was ich schmerzhaft erlebt hatte. Ich schwitzte und keuchte wie eine defekte Dampflokomotive, aber wir kamen gut voran. Zwei Wochen auf Madeira waren nicht zu übersehen. Ich musste auch nicht die klebrige Speichelmasse in alle Richtungen um mich spucken. Es freute mich. Ich atmete schwer, aber gleichmäßig. Die Schritte waren nicht groß, aber rhythmisch abgestimmt auf den Atem. »Lass uns mal Pause machen und was trinken«, schlug ich vor, als wir schon kurz unterhalb des Hügelgipfels anhielten, denn es öffnete sich eine unbeschreibliche Aussicht in südlicher Richtung. Das Pico-do-Arieiro-Massiv lag in voller Pracht vor uns. »Wir können ja dort Pause machen!«, sagte meine Frau. »Wo, dort?«, verlangte ich nach genaueren Angaben und wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht, nachdem ich die Brille abgenommen hatte. »Na dort in dem Häuschen!«
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![]() Der Pfad entlang des Bergkamms Ich setzte wieder die Brille auf und sah hin. In einiger Entfernung stand eine steinerne Schutzhütte neben dem Pfad, die sich gerade im Besitz einer Gruppe Jugendlicher befand, es waren vermutlich wieder irgendwelche Schüler auf Klassenfahrt. Sie alberten herum und machten Anstalten zum Aufbruch, als wir uns der Hütte näherten. Ein britisches Pärchen gesellte sich zu uns und nahm Platz auf der Bank an der gegenüberliegenden Wand der Hütte, nachdem sich die letzten Schüler auf den Weg gemacht hatten. Das etwa zwei mal drei Meter große Häuschen hatte ein spitzes mit Stein gepflastertes Dach. Es waren die gleichen Steine wie auf dem Weg. Die komplette Frontwand an der Kopfseite fehlte, sodass jeder hinein- und hinausgehen konnte, wie er wollte. Man hatte bei der Einrichtung dieser Wanderroute wirklich an alles gedacht! Die Hütte erfüllte eine ganz wichtige Aufgabe, nicht nur hinsichtlich der Verschnaufpausen, die man hier bequem einlegen konnte. Immerhin lag der Hügel laut Wanderführer auf einer Höhe von siebzehnhundert Metern über dem Meeresspiegel. Wie es hier im Winter bei einem Schneesturm aussah, konnte ich nur ahnen, aber ich war mir sicher, dass das Wort »Schutz«, das die Bezeichnung Schutzhütte in sich trug, voll zu Geltung kam. »Sir, could you take a picture of us please?«, wandte sich der Engländer an mich, als wir unsere Wasserflaschen in den Seitentaschen der Rucksäcke verstaut hatten, um die Wanderung zum Gipfel fortzusetzen. Er wollte auch ein Foto von ihm und seiner Frau vor der gewaltigen Bergkulisse mit nach Hause nehmen. »Of course!«, willigte ich ein. »What button shall I push?«, wollte ich wissen, wo sich der Auslöseknopf befand, als er mir seine Kamera gab. »This one please!«, erklärte er mir die Vorgehensweise. Die beiden stellten sich auf dem Pfad auf und ich schoss drei oder vier Bilder von dem Paar vor dem Hintergrund gewaltiger Felsen, die in dem Moment stellenweise vom Nebel verhüllt waren und nur die Spitzen aus der Wolke in den Himmel hinausragten. Auf der anderen Seite des Berges wurde die Aussicht auf die höchsten Gipfel der Insel, die sich entlang der Ostwand des Curral das Freiras aneinander reihten, noch großartiger. Es war schade, dass sie sich von diesem Blickpunkt aus hintereinander versteckten. Man hätte wieder auf den Pico Grande auf der gegenüberliegenden Seite klettern müssen, um eine Panoramaskyline davon vor die Kamera zu bekommen. Aber von dem Berg hatte ich erst einmal genug. Wir wanderten schon eine ganze Weile bergab und passierten zwei weitere Schutzhütten, als ich realisierte, dass der nächste Hügel, der vor uns lag, schon der Pico Ruivo sein musste! Es passte von der Zeit und von der Entfernung her! »Das soll Pico Ruivo sein?«, fragte ich misstrauisch. »Wo?« »Das hier! Dieser Hügel vor dir.«
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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