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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 9
»Hier gibt es aber nichts. Sie müssen doch hier irgendwo sein. Auf den Karten kann man doch viele Wanderrouten sehen!« »Was für welche Karten?«, wollte ich wissen. »Die auf dem Zimmer? Die kannst du vergessen!« Das, was sie als Karten bezeichnet hatte, war ein Haufen kostenloser Werbeprospekte von der Rezeption, den ich zuvor auf dem Tisch im Zimmer gesehen hatte. Jedes Restaurant auf der Insel druckte in seinem Flyer eine vage Abbildung der Gegend ab und zeichnete da den ungefähren Verlauf der beliebtesten Routen ein. Karten! Wo sie aber recht gehabt hatte, war die Tatsache, dass auch auf diesem »kartografischen Material« die meisten Wanderwege irgendwas mit dem Encumeadapass zu tun hatten. Entweder führten sie über den Pass, oder sie nahmen dort ihren Anfang. »Es hängt auch eine große an der Rezeption! Hast du gesehen?«, entgegnete meine Frau etwas gekränkt durch meine Bewertung ihrer Fähigkeiten, gute Karten von schlechten unterscheiden zu können. »Nein, habe ich nicht. Ist aber egal! Die Routen fangen doch nicht hier am Hotel an! Lass uns doch ein Stückchen nach oben gehen, dann können wir ja sehen, ob da was ist.« Geli war sofort einverstanden und fragte direkt, ob es sich lohnte, die Fotokamera mitzunehmen, und ob sie ihre neuen Wanderschuhe einweihen sollte! »Ach, nee! Komm. Das ist ja eine feste Straße, da brauchst du keine Wanderschuhe. Und heute ist der erste Tag, du hast noch sechzehn Tage, um Fotos zu schießen! Wir hätten jetzt auch nicht die Zeit für eine große Tour!« Die Sonne stand noch hoch über den Bergen, die Luft war kristallklar, der Himmel wolkenlos – sogar die Wolke über dem Pass war weg. Wir betraten die Passstraße und gingen los. Bis zum Pass musste man über einen Kilometer wandern und ungefähr zweihundert Höhenmeter überwinden. »Lass uns langsamer gehen. Du läufst zu schnell!«, beschwerte ich mich über das von Geli gewählte Tempo, nachdem ich sie nach zweihundert Metern in der ersten Straßenkehre eingeholt hatte. Ein großer Freund von Spaziergängen bergauf war ich noch nie gewesen, wenn es sich aber nicht vermeiden ließ, teilte ich meine Kräfte nach Möglichkeit so ein, dass sie bei einem bestimmten Tempo bis zum höchsten Punkt reichten. »Tut mir leid, aber ich kann nicht langsamer gehen. Dann komme ich außer Atem. Ich bleib dann lieber ab und zu stehen und warte auf dich. Okay?«
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![]() Hotel am Pass Encumeada »Okay. Es ist wahnsinnig steil! Guck mal, wenn ich auf der Straße stehe, muss ich mich nach vorne beugen, um das Gleichgewicht zu halten!«, rechtfertigte ich mich für mein langsames Vorankommen und demonstrierte die außergewöhnliche Körperhaltung auf der Fahrbahn. »Ja, ich wusste es, du willst nicht in den Bergen wandern!«, bemerkte meine Frau vorwurfsvoll. »Wieso das? Jetzt fängst du schon wieder damit an!« »Du willst ja heute schon nicht und morgen sagst du: ›Ich bleibe im Hotel.‹ Dann sollen wir ein Auto mieten, sonst hocken wir alle zwei Wochen auf dem Zimmer.« »Und wer hat dir gesagt, dass ich nicht wandern werde? Ich bin einfach außer Übung! Es ist schwer. Ich sitze schon jahrelang am Schreibtisch und du willst, dass ich schon am ersten Tag wie ein Steinbock auf dem Berg herumspringe! Mietwagen! Wer nimmt schon einen Mietwagen für einen Wanderurlaub? Mietwagen ist Scheiße!«, scherzte ich zum Schluss mit Anspielung auf einen bekannten Spielfilm und lächelte versöhnlich. »Lass uns weitergehen.« »Ja, das sagst du nur so«, erwiderte sie launisch und wir setzten unseren Aufstieg fort. Mit beneidenswerter Leichtigkeit hatte Angelina mich wieder hinter sich gelassen und baute ihren Vorsprung immer weiter aus. Sie wechselte dabei noch laufend die Straßenseite, um hinter den Leitplanken die wunderbaren blauweißen Blumen näher zu untersuchen. Ich hatte eindeutig nicht die nötige Kondition, zumindest noch nicht. Es fiel mir schon schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzten, geschweige denn, die Schönheiten der Natur wahrzunehmen. Nur während der Verschnaufpausen klärte sich mein Blick und das Gehirn wurde für die Bilder der Umgebung empfänglich. »Sieh mal, was für eine herrliche Aussicht!«, sagte ich begeistert und zeigte nach unten, wo durch das Grün der Bäume das rote Ziegeldach unseres Hotels schimmerte. »Man kann sogar unseren Balkon sehen! Siehst du? Da, wo du die Badetücher zum Trocknen aufgehängt hast.« »Welchen meinst du? Da hängen überall Badetücher!« »Den zweiten von rechts im Erdgeschoss. Das muss unser Balkon sein. Das letzte Fenster ist die Besenkammer neben unserem Zimmer, hinter der letzten Tür auf dem Flur! … aber stimmt, es sind jetzt viele Zimmer belegt. Wo kommen sie alle jetzt plötzlich her? Am Vormittag war es ja leer im ganzen Hotel. Kein Mensch war zu sehen. Haben sie alle geschlafen?« »Nee, eine Wandergruppe ist angekommen, während du geschlafen hast. Hast du gesehen? Die Koffer an der Rezeption sind ja weg!«
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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