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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 88
Der Taxifahrer war nicht besonders gesprächig. Stillschweigend lenkte er seinen Wagen durch kleine verschlafene Ortschaften, die an der Küstenstraße lagen. Die Strecke bis nach Arco war uns ohnehin schon bekannt, sodass kein großer Bedarf bestand, uns jede Aussicht und jedes Tal zu erklären, um das sich die Straße schlängelte. Arco bedeutete eigentlich Bogen, überlegte ich, während wir auf der Ringstraße an dem Ort vorbeifuhren. Demnach lautete der volle Name des Ortes auf Deutsch Bogen des Heiligen Georgs. Wer und was dieser Georg war, dass die Katholiken ihn zu einem Heiligen ernannt hatten, wusste ich nicht. Es war auch nicht weiter schlimm, außer Silvester und Nikolaus, deren Namenstage man sich in der christlich geprägten Welt aus verständlichen Gründen schon als Kind merkte, kannte ich in dieser Reihe so gut wie keinen. Außerdem hatten viele ihre lokalen Schutzheiligen, vielleicht gehörte der Georg auch dazu. Ein anderer Umstand beschäftigte mich: Um welchen Bogen ging es denn hier? Ich hatte im Ort keine Triumphbögen gesehen und um jemanden von den Ortsansässigen nach dem Bogen zu fragen, hatte es in Arco nicht viele Möglichkeiten gegeben. Das entlegene Dorf wirkte wie ausgestorben, als wir es am Freitag besucht hatten. Wann die örtliche Kneipe aufhatte, war ungewiss. Auf jeden Fall war die Tür verschlossen und der Wirt, den man über alles im Ort hätte fragen können, nicht zugänglich. Das Einzige, was das Dorf auf den ersten Blick besaß, war ein Aussichtsplatz. Der entsprechende Wegweiser fiel uns gleich auf, als wir uns zu einem kleinen Spaziergang entschlossen. Irgendwie mussten wir die Zeit bis elf Uhr fünfzig totschlagen. Der geräumige Platz entpuppte sich als ein hervorragender Aussichtpunkt auf einer steilen Klippe, die senkrecht zum Meer abfiel. Man konnte bis nach Porto Moniz am westlichen Ende der Insel sehen. Unten trennte ein schmaler steiniger Strandstreifen das Meer von der steilen Felswand. Mächtige Brandung rollte heran, verlor ihre Kraft, als sich große Felsbrocken ihr in den Weg stellten, brauste zum Schluss noch zum letzten Mal beleidigt auf und zog sich zurück, um einen neuen Anlauf zu nehmen. Als wir schon in dem mit Stein gemauerten Wartehäuschen sehnsüchtig dem Auftauchen unseres Busses entgegensahen, überlegte ich, wie die Leute auf die Idee gekommen waren, hier eine Art Umsteigebahnhof einzurichten. Ich fand keine Antwort, es blieb mir ein Rätsel, genauso wie der mysteriöse Bogen.
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![]() Aussichtsplatz in Arco de São Jorge Unterdessen änderte sich die Gegend hinter dem Fenster des Taxis. Wir hatten Arco hinter uns gelassen und fuhren auf der Straße nach Santana auf einem Abschnitt, der mir noch völlig unbekannt war. Während die Küstenstraße in São Vicente in östlicher Richtung so ziemlich auf dem Niveau des Meeresspiegels lag, befanden wir uns mittlerweile in einer beachtlichen Höhe und dem Gefälle der Fahrbahn nach, ging es unaufhörlich nach oben. Die Sicht wurde immer weiter, der Horizont über dem Atlantik rückte Schritt für Schritt in die Ferne mit jeder Straßenkehre, die das Auto auf eine neue Höhenstufe brachte. Die nach Norden gerichteten Hänge waren üppig bewaldet – es fehlte keineswegs an grünen Tönen – und fielen sehr steil zur Küste ab. Ich wusste nicht genau, auf welcher Höhe Santana lag, und hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie hoch die Klippen und die Felswände der Steilküste in diesem Teil der Insel waren, aber eins verstand ich definitiv: Strandfreunde hätten hier keinen Urlaub machen sollen! Viel besser in dieser Hinsicht sah es auf der gegenüberliegenden Seite der Insel in Ribeira Brava aus, als wir gestern einen Ausflug zum Strand unternommen hatten. Zugegebenermaßen erinnerte der Schwimmbereich der Badeanlage, die wir schon Anfang der Woche für einen Strandausflug ins Auge gefasst hatten, eher an eine große Badewanne, aber es war ein richtiger Strand! Ein L-förmig aufgeschütteter und mit großen Betonblöcken befestigter Wellenbrecher grenzte einen Teil des Meeres ab, wo Badegäste herumplanschen und bis zu der allgegenwärtigen Styroporinsel in der Mitte schwimmen konnten. An der langen Seite des Schwimmbereichs reihten sich am Ufer große Sonnenschirme mit Sitz- und Liegegelegenheiten, die miteinander durch hölzerne Laufstege verbunden waren. Sie waren unverzichtbar, um sich auf dem Gelände fortzubewegen, denn der Boden war fast ausnahmslos mit faustgroßen Kieseln bedeckt. Nur an der Kopfseite des Damms gab es einen flachen Zugang zum Wasser mit feinkörnigem schwarzen Sand. Er war perfekt, aber aus unerfindlichen Gründen zogen wir es vor, auf den Stegen weit nach hinten zu laufen und uns unter einem der letzten Sonnenschirme niederzulassen, obwohl der Strand noch so gut wie menschenleer war. Wir waren mit dem frühen Bus zu der Stunde gekommen, als die Sonne schon schien, aber noch nicht richtig wärmte. Während wir noch eine ganze Weile bekleidet dasaßen und Möwen beobachteten, behandelte ein sportlich aussehender »Glatzkopf« unter dem benachbarten Schirm eine Stunde lang sehr unappetitlich seine Füße mit einer Hornhautraspel. Er hatte Tauchausrüstung dabei – seine Schwimmflossen, Schnorchel und Taucherbrille lagen neben ihm – und wartete allem Anschein nach ebenfalls auf angenehmere Temperaturen, um den Meeresgrund zu erforschen und seinen frisch geschrubbten Fußsohlen ein Salzbad zu gönnen. Erst mit der im blauen Himmel steigenden Sonne füllte sich die Anlage nach und nach mit Badegästen. Es wurde lauter, immer mehr Besucher kamen über die Holzstege zu den noch freien Sonnenschirmen. Wir bekamen ebenfalls Gesellschaft, eine portugiesische Familie mit zwei Kindern fand unseren Sonnenschirm auch sehr attraktiv. Der Taucher beendete seine Körperpflege und probierte schon mal seine Flossen an, um sich gleich in die Tiefen des Ozeans zu stürzen, als wir unsere Kleidung ablegten und ich die folgenschwere Entscheidung traf, heute auf jeden Fall eine Runde schwimmen zu gehen.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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