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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 87
»Maybe seventy, maybe sixty.« Er machte eine vieldeutige Handbewegung, die wohl darauf anspielen sollte, dass er sich nicht sicher war, es hätte durchaus mehr werden können als die veranschlagten sechzig bis siebzig Euro. Es befand sich in einem Widerspruch zu der Beschreibung im Reiseführer, die besagte, dass es für längere Überlandfahrten feste Preise gab, vielleicht bezog sie sich nur auf Taxen in Funchal. Ich entgegnete: »That's a lot of money!« Eine ganze Menge Geld war es, gemessen an der Entfernung, eher nicht, aber ich verhandelte weiter. Vielleicht ging noch was! Der Fahrer zeigte unschuldig auf das Taxameter und sagte: »We can turn it on, you will see!« Das war schon mal was! Er war tatsächlich bereit, es einzuschalten. Die Fahrt hätte deutlich unter hundert Euro gekostet und man zahlte den offiziellen Preis, nicht irgendwelche fantastischen Beträge, die Taxifahrer an manchen Orten der Welt nannten, wo Taxameter bei der Abrechnung eine untergeordnete Rolle spielten. Ich verließ mich erst mal auf seine Schätzung, die Fahrt durfte nun auf gar keinen Fall mehr als siebzig Euro kosten, es war die von ihm selbst gesetzte Obergrenze. »Is this a correct taximeter?«, fragte ich mit gespieltem Misstrauen, ob das Gerät auch korrekte Beträge anzeigte. »Yes, yes, Sir. Of course!«, beeilte sich der Taxifahrer, mir die fehlerfreie Funktionsweise seiner Preisanzeige zu versichern und schmunzelte unauffällig, was meine Annahme bestätigte, dass ihm auch andere Bauarten von Taxametern bekannt waren. Der Taxifahrer nahm die Küstenstraße, nachdem sich schließlich alle über das Preisgestaltungsmodell einig geworden waren und meine Frau das Geschäft abgenickt hatte. In São Vicente kannte ich mich inzwischen aus wie in meiner Westentasche und wunderte mich, dass der Mann am Kreisel nicht in den Tunnel abbog, der eine Abkürzung gewesen wäre, und schneller als auf der Straße mit zahlreichen Ortschaften, Kreuzungen und Ampeln ging es unter der Erde allemal. »Why don't you drive through the tunnel?«, fragte ich nach dem Grund, warum er den Tunnel mied. »At the coast you can see the nature, in the tunnel you can see nothing! And it's the same distance!« Er hatte wahrscheinlich recht. Die Natur während der Fahrt zu beobachten, machte viel mehr Freude, als sich in der dunklen Röhre zu bewegen. Es klang vernünftig, offenbar gehörte er nicht zu der Sorte Taxifahrer, die ihre ahnungslosen Gäste gerne mal spazieren fuhren, damit nachher der Preis stimmte. Er musste es wissen, mehr als siebzig Euro hätte er nicht bekommen. Außerdem sah ich mir gerne noch einmal den Ort an, den wir gerade vermutlich für den Rest unseres Lebens verließen.
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![]() Am Strand von São Vicente Ausgiebig Abschied von São Vicente hatten wir schon am Freitag genommen, während wir nach unserer Erkundungstour zum Busbahnhof von Arco de São Jorge hier auf den Viertel-nach-drei-Bus zum Pass gewartet hatten. Der Ausflug war nur von kurzer Dauer gewesen. Arco war ein kleiner Ort, wo es nicht viel zu sehen gab, und wir waren schon frühzeitig mit unserer Besichtigung fertig. Anstatt dort auf unseren Bus zum Pass zu warten, der erst um halb drei fuhr, nahmen wir den Bus um zehn vor zwölf. Es war eine andere Linie, der Bus hielt aber trotzdem in São Vicente, um danach weiter in westlicher Richtung die Küste entlang zu fahren. Wir stiegen schon an der Ringstraße aus und besuchten den Platz mit der langen Reihe von Geschäften, von denen wir bei unserem ersten Besuch durch den Wegweiser zu den Grutas abgelenkt worden waren. Zu meiner Freude waren die meisten davon Restaurants und Imbissstuben, sodass wir den Ort bald verließen, denn einen großen Hunger hatten wir noch nicht. Stattdessen verbrachten wir fast eine ganze Stunde am schwarzen Kieselstrand unterhalb der Brücke. Fußballgroße Steine machten jeden Versuch barfuß zu laufen zu einer tödlichen Qual und wir behielten unsere Schuhe an, zumal das Wetter zwar wesentlich besser als am Vortag war – französische Wetterberichte hatten nicht gelogen –, aber auch nicht besonders dafür einladend. Straffer Nordwind peitschte die See auf und tonnenschwere Wellen donnerten auf die Kieselsteine, die sich beim Rückzug des Wassers im Sog der Brandung bewegten und laute, gluckernde Geräusche erzeugten. Ich fand einen angespülten Baumstamm, setzte mich darauf und sah auf den Ozean hinaus. Der Wind spielte mit meinem Haar und blies mir die salzige Gischt der brechenden Wogen ins Gesicht. Ich saß lange nachdenklich da, während Angelina ihr Spielchen mit den im Sand verlaufenden Spuren trieb. Unermüdlich lief sie wie aufgezogen mit der Fotokamera hin und her. Sie gab sich alle Mühe, um auf dem nassen Sand ihre Schuhabdrücke zu hinterlassen, von denen die Letzten von der nächsten heranrollenden Welle halbverwischt werden sollten, als ob jemand in die Brandung hineingegangen und nie wiedergekommen war. Es lief nicht so erfolgreich wie erhofft: Entweder machte das tosende Wasser die Komposition schlagartig kaputt oder die Kraft der Wellen reichte nicht aus, um die letzte Spur von ihrem Sprung zu verwischen, mit dem sie sich im letzten Moment vor der Flut zu retten versuchte, sodass ihr ganzer künstlerischer Plan scheiterte. Sie nahm aber alle Fotos, die sie machen konnte. Die Spiegelei-Fischsuppe schmeckte mir abermals, als wir später in die Stadt spazierten und das vertraute Restaurant in der Seitenstraße aufsuchten. Ich erklärte dem Kellner andeutungsweise, dass es viel sinnvoller gewesen wäre, das Ei noch im Ganzen an die Welthungerhilfe zu spenden oder etwas Ähnliches damit anzustellen, anstatt es meines Vergnügens halber zu verschwenden. Anscheinend teilte er meine Ansichten zu dem Problem, es wirkte, das Ei fehlte in der Suppenschüssel. Erstaunlicherweise hatte auch der Supermarkt in der Innenstadt an dem Tag auf, sodass sich eine Gelegenheit ergab, unsere Vorräte etwas aufzufüllen, bevor uns der Bus aus Arco einholte und zum Pass mitnahm.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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