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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 81
Ich beugte mich zu meiner Frau und flüsterte ihr ins Ohr: »Komm, gehen wir lieber zur Rezeption Fotos gucken! Ich kann es nicht mehr hören.« »Okay«, stimmte Geli zu. Offenbar wollte sie auch nicht mehr erfahren, wie die Sache mit dem Fischdonnerstag ausgegangen wäre. »Können wir bitte bezahlen?«, wandte sie sich an den Kellner, während ich den Laptop wieder in die Tasche einpackte. »Yes, Madam!«, sagte er bereitwillig und piepste mit den Tasten der Registrierkasse hinter der Theke. Ich zahlte die Rechnung und gab ihm etwas Trinkgeld. Wir kamen aus dem Lokal heraus und ich war auf eine unerklärliche Weise froh darüber, wieder in dem dickflüssigen Nebel zu stehen und die frische, feuchte Luft einzuatmen. »Diese dumme Gans! … noch so jung und schon so blöd!«, ließ ich etwas Dampf ab. »Mhm«, grunzte Angelina bestätigend in meine Richtung und wir gingen zum Hoteleingang, der kaum sichtbar auf der anderen Seite des Parkplatzes durch den dichten Nebel schimmerte. Nie hätte ich gedacht, dass Fotosgucken so unterhaltsam sein konnte. Viele Eindrücke der letzten Tage überlagerten einander, die Bilder hatten sich im Kopf zu einem bunten Klumpen von Erinnerungen vermischt, die man kaum noch imstande war auseinanderzuhalten. Man wusste nicht mehr genau, welche Ereignisse zu welchem Ort gehörten und bei welchen Umständen sie stattgefunden hatten. Die Reihenfolge der Aufnahmen auf der Speicherkarte brachte wieder Ordnung in dieses Durcheinander, man sah ein Foto und rief dazu sofort eine oder mehrere Erinnerungen ab, die sich ins Bewusstsein eingebrannt hatten. Man entsann sich des Ortes, der Situation, bei der das Bild entstanden war, und der Geschehnisse, die darauf folgten oder ihm vorangegangen waren. »Das ist doch der Strand in Ribeira Brava!«, sagte ich überrascht, dass Angelina überhaupt Bilder davon gemacht hatte, während wir am Dienstag die Straße zur Levada Nova nach oben gegangen waren. »Ja, da wollten wir ja noch hingehen«, ergriff sie gleich die Initiative. »Du hast es versprochen!« Das stimmte. Ich erinnerte mich dunkel daran, so etwas gesagt zu haben, als wir auf dem Rückweg die Badeanlage besuchten, nachdem wir über die Uferstraße, die man auf dem Foto sehen konnte, nach Ribeira Brava zurückgekommen waren. Eigentlich stillten wir dort nur kurz den enormen Durst, der uns nach der Wanderung plagte, denn wir passten ganz schlecht in unseren verschwitzten, staubigen Klamotten zu dem Publikum in knappen Bikinis und schicken Badehosen. Nachdem wir ein Bier getrunken hatten, zogen wir es vor, irgendwo in der Stadt zu Mittag zu essen.
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![]() Strand in Ribeira Brava Geli klickte sich weiter durch die Fotos. »Caminho!«, gab sie eine spöttische Bemerkung von sich, nachdem eine ganz bestimmte Aufnahme auf dem Bildschirm auftaucht war. Sie zeigte mich, während ich an einem Geländer am oberen Ende eines breiten betonierten Weges stand, der steil nach unten führte. Zuvor hatten wir uns auf diesem Pfad nach oben gemüht. Ich sah nicht gut aus. Vor Schweiß triefend und erschöpft stand ich da und machte mir Gedanken, ob die Sache mit dem Aufstieg zum Pico Ruivo wirklich gut überlegt war. »Caminho« war hier das Schlüsselwort, um den Grund für die ironische Anspielung meiner Frau zu begreifen.
Eigentlich hatte ich schon von Anfang an keine Lust, den weitläufigen Serpentinen der Straße zu folgen, sie verlängerten den Weg um das Dreifache. So suchte ich nach Möglichkeiten für eine Abkürzung. »Wir müssen hier lang!«, sagte ich, als ich wieder einen der kleinen Wegweiser am Straßenrand sah mit der Aufschrift »Caminho«. Was auch immer das Wort bedeutete, aber die Beobachtung, die ich gemacht hatte, ließ vermuten, dass es irgendein Durchgang, Weg oder Pfad war, der zwischen Häusern und Hinterhöfen direkt zur höhergelegenen Straßenkehre führte, denn dort oben fand man in der Regel ein gleichnamiges Schild, das aber die Richtung nach unten vorgab. Obwohl man sich auch etwas mehr anstrengen musste, dachte ich, machte der Durchgang quer durch das Wohnviertel den Weg wesentlich kürzer. Ich lag richtig. Gemessen an der Anzahl der gemachten Schritte war es ohne Zweifel die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Damit endeten auch die Vorteile, die eine Abkürzung auf einem steilen Hang bieten konnte. Die Liste der Nachteile war dagegen lang: Jeder Schritt wog Tonnen, was man sich bei der Entfernung sparte, wurde schon auf halbem Wege durch den Zeitaufwand zunichtegemacht, oben mussten wir eine Pause einlegen, um Kräfte zu sammeln, als wären wir wieder am Fuße des Pico Grande gewesen. Ich schwor mir, nie wieder einem Wegweiser mit der Aufschrift »Caminho« zu folgen. Es war aber nicht das letzte Mal an diesem Tag, dass ich die Gelegenheit bekam, mich mit der Bedeutung dieses Wortes vertraut zu machen. »Caminho, caminho!«, rief uns der Kneipenwirt hinterher, nachdem wir an einer Dorfwirtschaft schon fast vorbeigelaufen waren, wo zwei oder drei Madeirenser draußen genüsslich ihren Madeirawein tranken. Wir hatten bei ihm den Eindruck von Menschen erweckt, die nach dem richtigen Weg suchten, zumal es wirklich der Fall war, denn bei den vielen Abkürzungen hatten wir die Marschroute aus den Augen verloren. Er gestikulierte temperamentvoll und zeigte mehrmals mit der Hand die Richtung – nach vorn und dann nach rechts.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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