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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 77

Es war erstaunlich, wo sich überall die Insulaner im Laufe der Zeit niedergelassen hatten. Es gab Siedlungen, die nur an den Briefkästen am Straßenrand erkennbar waren. Nicht einmal der Postbote traute sich, die steile Treppe nach oben zu steigen, von der sich Frauen, die schon vermutlich über siebzig waren, nicht sonderlich beeindrucken ließen. Sie meisterten mit Leichtigkeit den Aufstieg zu ihrer heimatlichen Hütte mitsamt ihren Einkäufen. Es waren meistens auch nur Hütten, die Häuser waren zum Teil so klein, dass man sich zuweilen fragen musste, ob die Bewohner noch die Beine ausstrecken konnten, wenn sie ins Bett gingen. Fast eine Stunde kurvte der Bimmelbus durch vergessene Ortschaften und verlorene Dörfer, ehe der Fahrer wieder Kurs auf die Küste nahm, um eine gefährliche Serpentinenstraße nach Ribeira Brava hinunterzufahren. Der Portugiese packte seine Landkarte wieder ein, hier mussten alle umsteigen.

Viel Zeit, um noch in den Ort hineinzugehen, gab es nicht. Der Anschlussbus zum Pass fuhr in einer Viertelstunde ab. Die meisten Fahrgäste aus dem Funchalbus blieben ebenfalls auf der Haltestelle stehen und warteten darauf. Die Madeirakarte flatterte wieder über den Köpfen im leichten Wind, der vom Meer durch die Schlucht wehte. Sorgen, dass wir uns alle auf dem Weg zum Pass irgendwie verfahren sollten, machte sich keiner mehr. Der Teil der Stadt, den man vom kleinen Busbahnhof sehen konnte, sah schön aus. Ribeira Brava mussten wir auf jeden Fall noch besuchen. Vielleicht schon morgen. Ich musste mir heute Abend den Wanderführer vornehmen, gestern hatte ich etwas von einer Tour gelesen, die hier ihren Ausgangspunkt hatte und durch ein wunderschönes Tal führte. Darüber hinaus hatte ich vorhin etwas Ähnliches wie eine Badeanlage gesehen, als der Bus an der Strandpromenade gedreht hatte, bevor wir ausgestiegen waren. Ein paar Sonnenschirme aus Stroh oder Bambusstäben gab es da ohne jeden Zweifel, eine Möglichkeit für einen Strandausflug befand sich möglicherweise gar nicht so weit entfernt. Aber zuerst mussten wir unser Hotel erreichen, mit dem Bus, der sich gerade der Haltestelle näherte und die Tür zum Einsteigen öffnete. Wir stiegen ein.

* * *

Das Wetter war furchtbar. Dichter, klebriger Nebel hatte sich in der Nacht am Pass festgesetzt und wollte auch nicht der Vormittagssonne weichen. Er haftete an allem, was er berührte, kam nicht vorwärts und hinterließ auf sämtlichen Oberflächen einen dünnen Wasserfilm, der der Schwerkraft folgend kleine Rinnsale entstehen ließ, die ununterbrochen von den Dächern herabflossen. Große Tropfen perlten auf den Blättern der Bäume und die Kleidung durchnässte schon nach fünf Minuten bis zur letzten Faser, wenn man sich nach draußen begab. Man blieb am besten im Hotel.

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Dichter Nebel hat sich in der Nacht am Pass festgesetzt
Dichter Nebel hat sich in der Nacht am Pass festgesetzt

Die Sonne hatte sich schon vor zwei Tagen in eine Pause verabschiedet, eigentlich bereits am Montag, als wir abends von Funchal zurückgekommen waren. Seitdem hing über der Insel eine dichte Wolkendecke, die unwesentlich dünner wurde, je mehr man den Blick zur Küste richtete. Und dennoch war von allen Seiten über dem Ozean, vielleicht einen oder zwei Kilometer von der Küstenlinie entfernt, ein blauer Streifen des wolkenlosen Himmels zu beobachten. Es war eine merkwürdige Wetterlage, die Bewölkung drehte sich zwei Tage in Folge nur über dem Archipel im Kreis. Am Dienstag und am Mittwoch hatte es aber nicht annähernd so übel ausgesehen, wie es heute der Fall war. Wir schafften es sogar, an beiden Tagen jeweils einen Halbtagesausflug zu absolvieren, ohne von den Wolken besonders gestört zu werden. Einmal wünschte ich mir geradezu, die Wolkendecke wäre noch dichter gewesen, als wir die stillgelegte alte Küstenstraße von Tabua nach Ribeira Brava entlangliefen nach unserer Wanderung an der Levada Nova. Die Sonne schien vom klaren Himmel über dem Ozean unter die Wolkendecke hinein und röstete uns regelrecht an der steilen Felswand entlang des Weges, die so heiß wurde wie glühende Kohlen. Heute versank die ganze Insel in einer trüben Nebelsuppe ohne Hoffnung auf einen Lichtblick.

»Wohin gehen wir heute?«, fragte Geli, als sie sich morgens die Decke bis ans Kinn hochzog und mich mit ihren verschlafenen Augen ansah.

»Nirgendwohin. Höchstens zum Frühstück ins Restaurant«, gab ich zur Antwort.

»Wieso? Wir wollten doch …«

»Ja, ich weiß, was wir wollten!«, unterbrach ich sie. »Mit dem Bus nach Arco de São Jorge fahren und uns die Nordküste ansehen.«

»Aber?«

»Nix aber! Wenn du nach einer halben Stunde so aussehen willst wie die französischen Schüler, als sie vom Pico Grande kamen, können wir es gerne machen. Sieh mal aus dem Fenster.«

Sie richtete sich auf und sagte: »Es regnet.«

»Es regnet? Das ist nicht der richtige Ausdruck. Wir befinden uns mittendrin in einer Regenwolke. So wäre es richtig. Und ich glaube nicht, dass es bald vorbei ist«, teilte ich Angelina meine traurige Erkenntnis mit.

»Dann machen wir heute einen Ruhetag!«, erklärte sie zu meinem Erstaunen. Es kam äußerst selten vor, dass sie mit meinem Vorschlag einverstanden war, noch bevor ich ihn formulierte.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.995
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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