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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 76
»So, wohin müssen wir gehen?«, fragte Geli, als wir die Kreuzung erreichten, an der sich der immer noch fast menschenleere Bahnhof der Bergstation befand. »Da lang!« Ich zeigte auf den Wegweiser, der die Richtung zu der Seilbahn des Botanischen Gartens angab. »Wir könnten es noch schaffen, wenn wir gleich eine Gondel kriegen. Zehn Minuten hin, zehn zurück und eine halbe Stunde, um Blümchen zu gucken.« Ich ging davon aus, dass ein Ansturm auf den Bahnhof, um nach unten in die Stadt zu fahren, nicht zu erwarten war. Alle Schlittenfahrer hätten einen anderen Weg genommen und die Straße zum Botanischen Garten sah im Moment sehr verwaist aus. »Ist es weit?«, nervte mich Geli. »Keine Ahnung. Das werden wir gleich sehen.« Es war nicht weit, es waren vielleicht einhundert Meter, die wir zurückgelegt hatten, als wir in der Ferne wieder das Ende einer Schlange sahen – diesmal waren es botanikbegeisterte Zeitgenossen, die an der Seilbahnstation ausharrten, um in den Genuss einer Gartenbesichtigung zu kommen. »Nee!«, sagte ich mit großer Entschlossenheit und blieb stehen. »Da brauchen wir erst gar nicht weiterzugehen.« »Warum nicht? Es geht bestimmt schnell!« »Nichts geht hier schnell. Wir stehen da eine halbe Stunde an, bis wir nach unten fahren können. Sollen wir uns dort sofort umdrehen und wieder nach oben fahren? Sonst kriegen wir nicht den Bus!« Geli zeigte sich einsichtig: »Okay. Wir haben Pech gehabt. Ist nichts zu machen!« »Das Glück hat uns verlassen! Es hasst Idioten wie wir!«, bestätigte ich ihre These. Wir mussten uns nicht mehr besonders beeilen, der Botanische Garten war ausgefallen, sodass noch genug Zeit für eine Raucherpause blieb als Abschluss unseres Ausfluges nach Funchal. Wir standen noch eine Weile an einer Betonbrüstung, die die Straße säumte, schauten auf die Stadt nach unten und ließen das Erlebte noch einmal Revue passieren. So wenig war es gar nicht, was sich da an Eindrücken angesammelt hatte, obwohl die Zeit nicht allzu großzügig bemessen gewesen war. Wir hatten etwas über die Stadt und die Einwohner gelernt, ihren geschichtlichen Hintergrund und das moderne Leben, wir hatten fast alle Orte in der Stadt besucht, die in Prospekten und Katalogen als sehenswürdig eingestuft waren. Ja, das Rathaus hätten wir nicht mehr vor dem Bus geschafft, das wäre noch das letzte Highlight gewesen. Es gehörte in die Kategorie Pech, so wie der Botanische Garten und die hölzernen Schlitten.
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![]() Zurück zur Seilbahnstation über der Altstadt von Funchal Eine Gondel der Seilbahn von Funchal hatte uns planmäßig und sicher nach unten gebracht. Wir hatten sie für uns allein gehabt und Geli hatte ungehindert Fotos von der Stadt und von uns selbst aus allen möglichen Perspektiven knipsen können. Eine Möglichkeit, irgendwelche Bilder, egal aus welchem Winkel, auf dem engen Bürgersteig vor der Bushaltestelle zu machen, gab es dagegen nicht. Menschen standen dicht an dicht, man musste aufpassen, dass man nicht überrannt wurde, wenn ein Bus anhielt und sich die hinteren Reihen in Bewegung setzten, um ihren Angriff auf den Bus zu starten. Jeder wollte mitfahren, keiner wollte zurückbleiben. Als wenn das nicht schon genug gewesen wäre, rückte sich ein älterer, hochgewachsener Portugiese, allem Anschein nach ein Inselbesucher vom Festland, elegant in den Mittelpunkt des Geschehens und faltete eine riesige Landkarte von Madeira auseinander. Er stand wie ein Felsen in der Menschenmenge mit weit ausgebreiteten Armen und studierte die topografischen Besonderheiten der Insel. Vor ihm verwirbelte sich der Strom der einsteigenden Fahrgäste, die nunmehr ihren Weg zur Bustür links und rechts um ihn herum suchen mussten oder unter seiner Karte hindurchtauchten. Seine Frau zog ihn unentwegt am Ärmel und schimpfte mit ihm mit piepsiger Stimme, bis er den Unsinn seines Unterfangens erkannte. Ihre Wortwahl entzog sich meinem Verständnis der portugiesischen Sprache, sie reichte aber auf jeden Fall dafür aus, dass der Man die Karte mit unzufriedener Miene sorgfältig zusammenfaltete und in die Innentasche seines Sakkos steckte. Es war ein Mann von meinem Schlag, aber ich hätte ihm bei allem Respekt zum erstklassigen Kartenmaterial auch freundschaftlich geraten, Landkarten dieser Abmessungen nach Möglichkeit im Schlafzimmer auf einem Doppelbett auszubreiten. Ich hatte mich bei der Annahme geirrt, dass der Bus uns, ähnlich wie auf dem Hinweg, zügig nach Ribeira Brava gebracht hätte. Es war kein Expressbus, um nicht zu sagen: Es war das krasse Gegenteil von einem Expressbus. Das stellte sich in dem Moment heraus, als der Fahrer entspannt an der Auffahrt zur Autobahn vorbeisteuerte und auf der Straße weiterfuhr, die nach oben zum Bergrücken führte. Ich verstand, dass es eine lange Fahrt werden sollte. Die Dörflerinnen in bunten Kopftüchern, die gut zwei Drittel aller Fahrgäste ausmachten, wollten nun alle nach Hause gebracht werden, nachdem sie ihre Angelegenheiten in der Stadt erledigt hatten. Der Bus hielt bald an jeder Laterne, um ein paar »Seidene Blusen« aussteigen zu lassen, die dann mit ihren prall gefüllten Einkaufstüten den Berg hochwatschelten. Mit von der Partie war auch der Portugiese mit der Madeirakarte, die erneut zum Einsatz kam, sobald er und seine Frau im Bus Platz genommen hatten.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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