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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 75
»Willst du immer noch eine Schlittenfahrt machen?«, scherzte ich. »Vielleicht geht es ja schnell, wir müssen abwarten!«, verlor Geli nicht die Hoffnung. »Das glaube ich kaum. Aber von mir aus …« »Guck, da oben auf der Kirche. Da ist ein Aussichtspunkt an den Türmen!«, teilte sie fröhlich mit, als sie mehrere Menschen an einem Geländer auf dem Dach der Kirche sah. Ich überlegte kurz uns sagte: »Also, ich nicht! Du kannst ja gerne nach oben gehen und ein paar Fotos schießen.« »Das mache ich auch!«, erwiderte sie fest entschlossen. Allein die Treppe zum kleinen Kirchplatz auf der Hangterrasse, die wir alsdann hochstiegen, war steil genug, um mich von der Richtigkeit meiner Entscheidung zu überzeugen. Auf den Kirchturm zu klettern, wäre jetzt zu viel gewesen. Auch vom Platz vor dem Kircheneingang konnte man noch ganz gut das Schiff im Hafen sehen, obwohl die Sicht durch die Bäume im Park auf der anderen Straßenseite etwas gehindert wurde. Als Ausgleich bot aber das Mäuerchen, das den Kirchplatz umgab, eine perfekte Sitzgelegenheit, die auch zahlreiche andere Besucher gerne in Anspruch nahmen. Es war angenehm warm, der Bergrücken sorgte für genügend Nachschub an Wolken, um nicht in der sengenden Sonne sitzen zu müssen. Ich ließ mich nieder und beobachtete das Geschehen unten auf der Straße. Durch die Menschenmenge ging plötzlich eine Welle der Bewegung, ein Raunen zog sich vom Anfang bis zum Ende der Schlange und jeder schaute gespannt in die Richtung, aus der wir vor fünf Minuten gekommen waren. Den Grund für die Aufregung verstand ich, als die ersten Carreiros mit ihrem Korbschlitten auftauchten, den sie mühsam hinter sich schleppten und dann vor dem grünen Tor auf der anderen Seite abstellten, auf dem noch die Überschrift »Grande Hotel Belmonte« an frühere Zeiten erinnerte. Das Gefährt war zum Einsteigen bereit! Immer mehr Männer in Weiß schleiften ihre Schlitten herbei, sodass es bald von »Strohhüten« nur so wimmelte. Vermutlich funktionierte das Fahrgeschäft so, dass ein Laster die ganze Mannschaft mitsamt ihren Körben regelmäßig nach oben brachte, nachdem der letzte »Strohhut« unten angekommen war und alle noch miteinander eine Zigarette geraucht hatten. Wahrscheinlich war es kein leichter Job, den ganzen Tag einen Schlitten hin- und herzuschleppen. Der Obercarreiro gab ein Zeichen und die Menge atmete erleichtert auf. Der Weg war frei, der Meister besetzte im Minutentakt die Schlitten mit jeweils zwei Personen, klopfte einem der beiden Schlittenlenker bestätigend auf die Schulter und schickte die Rutschpartie nach unten.
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![]() Ausgangspunkt der Abfahrt mit den carros de cesto »Siehst du, es geht schnell!«, sagte Geli, die auf einmal wieder neben mir stand und die Abfahrt der Schlitten mit Interesse verfolgte. »Ich denke, schnell geht es nur nach unten. Bis sie wieder alle oben sind, vergeht 'ne halbe Stunde, mindestens.« »Du bist ein Spielverderber!«, meinte sie enttäuscht. »Moment! Was habe ich denn damit zu tun? Wenn sich hier das halbe Kreuzfahrtschiff versammelt hat, kann ich doch nichts dafür!«, sagte ich gekränkt. »In den Botanischen Garten willst du nicht gehen, für eine Schlittenfahrt willst du nicht anstehen. Wozu sind wir überhaupt hierhergekommen?«, fragte Angelina vorwurfsvoll. »Verdammte …! Lass uns dann jetzt zu dieser Scheißseilbahn gehen und gucken, was Sache ist mit deinem Botanischen Garten.« »Wo ist sie denn?« »Woher soll ich denn das wissen? Dort! Wir sind jetzt hier und müssen nach da!«, antwortete ich verärgert und zeigte auf die Straße, die zurück zum Bahnhof führte. Der letzte Schlitten fuhr ab, es wurde wieder leer auf der Fahrbahn, aber die Schlange war kein bisschen kleiner geworden. Ich hätte schwören können, dass sie noch größer war als zuvor, denn es kamen immer neue Fahrgäste von der Seilbahn und stellten sich hinten an. Es war nichts zu machen, es war einfach Schicksal. Wir brachen auf, denn so viel Zeit, um hier eine Stunde anzustehen, hatten wir nicht mehr – der Bus nach Ribeira Brava hätte nicht auf uns gewartet. Der Akkordeonist spielte wieder seine Melodie, als wir den Weg zur Bergstation zurückgingen, und nickte uns mit dem Kopf zu, als hätte er sich noch einmal für die Spende bedanken wollen. Diesmal stand eine ganze Gruppe von Touristen um ihn herum und hörte seinem zauberhaften Spiel zu. Es musste eine ziemlich einträgliche Stelle sein, täglich liefen hier hunderte von Leuten vorbei und wenn auch nur ein Bruchteil ihm den einen oder den anderen Euro gegeben hätte, hätte es für ein Abendessen für die ganze Familie gereicht. Kam er auch aus den Slums weiter unten? Vielleicht. Vielleicht war alles auch ganz anders und er gehörte zu irgendeiner organisierten Gruppe, die ihn anheuerte oder auch einfach zwang, auf der Promenade zu spielen, um den Touristen das Geld aus der Tasche zu locken. Das hätte mich nicht im Geringsten gewundert. Nachdem das Bettelgeschäft mittlerweile weitgehen von findigen, skrupellosen Geschäftsleuten aus der Unterwelt industrialisiert worden war, streckten dubiose Gestalten ihre Fühler auch nach Straßenmusikanten aus. Dazu hatte ich schon zahlreiche Beobachtungen gemacht. Man wusste nicht immer, was echt und was nur Inszenierung war. Der Junge schien aber echt zu sein und dass er sehr talentiert war, darin bestand kein Zweifel.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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