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OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 73

In eine Gondel der Seilbahn passten sechs Personen hinein. Der Bedienstete am Bahnsteig, der für die Befüllung der Kabinen zuständig war, wies uns eine Gondel zu, in die er vorhin schon ein jüngeres Paar mit einem halbwüchsigen Mädchen hatte aufspringen lassen. Wir waren also zu fünft und konnten alle ziemlich frei sitzen. Die Familie war sehr schweigsam, sodass ich nicht herausfinden konnte, welcher Sprache sie sich bediente und aus welchem Teil der Welt die Leute stammten. Laut der Infos in der mittlerweile halbleeren Halle des Bahnhofs ging die Fahrt nach Monte. Was es genau war und warum die Bergstation nicht beispielsweise Jardim Botânico hieß, wusste ich nicht – zu kurz war die Zeit gewesen, um sich im Bahnhof gründlich mit der Materie auseinanderzusetzen. Ich hatte jedoch das Gefühl, etwas falsch verstanden zu haben. Auf einigen Infotafeln wurde der Botanische Garten als das einzig wahre Erlebnis in Funchal angepriesen, die anderen zeigten wiederum irgendwelche exotischen Bilder mit der Überschrift Jardim Tropical, zwischendurch konnte man auch Fotos mit Szenen der kurvigen Schlittenfahrt auf einer abschüssigen Straße und glückliche Gesichter der weißgekleideten Männer mit Strohhüten sehen. Was war jetzt was? Was war jetzt wo? Und wohin brachte uns überhaupt die Gondel gerade? Nach Monte! Ich hatte keine Lust, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Alles hätte sich nach fünfzehn Minuten von alleine klären lassen, ich war mir dessen sicher.

Viel spannender fand ich die Aussicht auf die Stadt aus der Vogelperspektive, die sich allmählig immer mehr öffnete, je näher die gespannten Stahlseile die Gondel zum oberen Rand der Bergkette brachten, die die Bucht von Funchal umgab. Sie war einfach überwältigend! Nachdem die Kabine den Bahnhof verlassen hatte und über das Restaurant, wo wir zu Mittag gespeist hatten, lautlos hinweggeglitten war, lag Funchal wie auf einem Präsentierteller vor uns: Ein Meer aus roten Ziegeldächern erstreckte sich zu allen Seiten so weit man sehen konnte. Dort im Hafen lag das riesige Kreuzfahrtschiff vor Anker, in der Stadtmitte ragte der Turm der Kathedrale in den Himmel und weit im Westen konnte man auch das Hotelviertel erkennen, wo ich heute ganz geschickt dem Ausflug in das Einkaufszentrum entgangen war.

Der Himmel hatte sich indessen getrübt, über den Berghöhen im Norden tummelten sich dunkle Schwaden, die zur Küste hin immer milchiger wurden, während über dem Atlantik die Sonne vom blauen Himmel lächelte. Die Schneise der Seilbahn konnte man gut sehen, sie war durch die hohen Stahlstützen auch dann erkennbar, wenn die Seile vor dem bunten Hintergrund der Häuser schlecht auszumachen waren. Der letzte Mast, das Ziel unserer Fahrt, war weit oben direkt unter der Wolkendecke zu sehen.

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Funchal aus der Vogelperspektive der Seilbahn
Funchal aus der Vogelperspektive der Seilbahn

Ob es ein Teil eines geheimnisvollen Plans war, dass die Luftseilbahn über Stadtgebiete führte, die man als guter Gastgeber eher für sich behielt, als sie gleich jedem Besucher zu präsentieren, wurde in keinem Reiseführer erwähnt, aber wenn die Architekten mich gefragt hätten, wie sie die Elendsviertel unter den Seilen menschenfreundlicher für die Bewohner und imagewirksamer für die Stadt gestalten sollten, hätte ich ihnen, ohne zu zögern, empfohlen, den Bahnbetreiber dazu zu verpflichten, den Umbau der Slums als einen Teil des Gesamtprojekts zu betrachten. Für den Anfang hätte es gereicht, wenn die armseligen Hütten an den Hängen der Schlucht von Ribeira de João Gomes einen Kanalanschluss bekommen hätten – unverkennbare Spuren der Ergüsse am Hang, die fast bis zum Flüsschen nach unten reichten, weckten in mir den leisen Verdacht, dass die Leute in den baufälligen Behausungen mit der Funktionsweise einer Toilettenschüssel nicht im Detail vertraut waren. Es fragte mich aber keiner und ich behielt meine Vorschläge für mich!

Pünktlich und ohne Zwischenfälle fuhr die Schwebegondel im Bahnhof der Bergstation ein und ein Mitarbeiter lief neben dem Gefährt auf dem Bahnsteig mit, um jedem beim Aussteigen rechtzeitig zur Seite treten zu können, falls es ein Problem gab. Vor allen Dingen ältere Leute und Kinder waren auf seine helfende Hand angewiesen, denn die Kabine stoppte nicht richtig. Sie fuhr immer weiter, zwar etwas langsamer als auf der Strecke, wie es mir vorkam, aber es bestand durchaus die Möglichkeit, dass nicht schwindelfreie oder körperlich geschwächte Menschen ins Straucheln geraten konnten.

Alles ging reibungslos, wir liefen durch den fast menschenleeren Bahnhof zum Ausgang und standen bald auf einem kleinen Vorplatz. Vor uns lag eine kleine Kreuzung, wo sich drei Wege trafen: Auf dem Wegweiser, der nach rechts zeigte, stand »Teleférico Jardim Botânico«, links ging es zum Parque de Estacionamento – einem Parkplatz –, wie es ein anderer Pfeil verriet, und eine mit Kopfstein gepflasterte enge Straße führte geradeaus entlang einer Mauer zur örtlichen Kirche Nossa Senhora do Monte. Nebenbei hatte diese »Frauenkirche« auch etwas mit den Korbschlitten und den Kerlen mit Madeirahüten zu tun, denn ein entsprechendes Piktogramm wies darauf hin. Auf der anderen Seite der Kreuzung informierte ein großes Kachelbild auf der Mauer eindrucksvoll, dass sich hinter dem Tor rechts daneben »Jardim Tropical Monte Palace« befand.

Es wurde mir einiges klar! Monte war nichts anderes als der Name eines Dorfes, das mit der Zeit zu einem Vorort von Funchal geworden war, – wir standen gerade mittendrin. Der Botanische Garten hatte mit Monte nichts Gemeinsames, nur dass irgendwo hier noch eine weitere Seilbahn existierte, deren Dienste man in Anspruch nehmen musste, um ihn zu erreichen. Das erklärte auch, wieso ich vorhin auf dem Stadtplan keinen Hinweis auf den Garten gefunden hatte, als ich mir den eingezeichneten Verlauf der Seilbahn bis nach Monte angeschaut hatte. Er war gar nicht hier! Zum Jardim Botânico musste man noch den halben Weg zurück in die Stadt fahren, verriet mir die Karte. Die Lage der Sehenswürdigkeit war auf dem Plan bezeichnet, allerdings ein ganzes Stück östlicher. Es kam alles davon, dass man den Reiseführer nicht richtig las. Obwohl …? Geli hatte dort jeden Buchstaben gelesen und wusste es auch nicht.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.995
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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