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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 67

Unglaublich rührend und herzbewegend fand ich dagegen eine makabre Skulptur, die schon von Weitem in der Mitte eines Verkehrskreisels sichtbar wurde, als der Bus auf einer breiten, viel befahrenen Straße wieder die Richtung zum Hotelviertel an der Küste einschlug, nachdem wir noch eine Zeit lang in den Vororten herumgekreist waren und uns Bananenplantagen angesehen hatten. Anjo Caído – Gefallener Engel – war eine gut vier Meter große menschliche Hängefigur aus Bronze, die auf zwei Stahlseilen mitten in einem massiven Gerüst angebracht war. Sie war schön und abschreckend zugleich. Ein völlig nackter männlicher Körper mit gesenktem Kopf und leeren Augenhöhlen, seine Arme ersetzten zwei herabhängende Flügel, die weniger an einen Engel denken ließen, sondern eher an eine verblichene Seele, die gen Himmel stieg, zumal die leicht gekreuzten Beine des Verstorbenen hoch über dem Boden baumelten. Wie mich der Guide in meinem Ohr informierte, ehrte ein gewisser Ricardo Jorge Abrantes Velosa auf diesem Wege alle Bauarbeiter aller Jahrhunderte, die ihre Leben beim Errichten von Brücken, Graben von Tunneln und Ziehen von Levadas in den Bergen gelassen hatten. Ich fand es gut, dass die Stadt Funchal dieses Ehrenmal in Auftrag gegeben hatte und im Namen aller Inselbewohner den Opfern gedachte sowie ihren Angehörigen Trost zu spenden versuchte. Meine These, die ich während unserer Wanderausflüge am Pass aufgestellt hatte, bewahrheitete sich. Es war Mordsarbeit, wenn man versuchte, an einer steilen Bergflanke einen Vorsprung in den Fels zu hauen und einen Kanal darauf zu bauen, um die Insulaner mit Wasser zu versorgen. Dieser Engel war der Beweis dafür.

Das Bettenburgenviertel erwies sich als eine sehr gepflegte Gegend mit kurz geschnittenen Rasenflächen und nobel aussehenden Hotelanlagen. Die Parterres gehörten in aller Regel zahlreichen Pizzerien, Spielhallen und verschiedensten Etablissements, wo sich Touristen amüsierten. Unter anderem im »Forum Madeira«, an dem wir gerade vorbeifuhren, als Geli mich mit einem leichten Ellbogenstoß in die Seite von der Erklärung des unsichtbaren Fremdenführers ablenkte und die Kopfhörer abnehmen ließ.

»Hast du gehört? Das ist ein Einkaufszentrum! Lass uns aussteigen und gucken«, sagte sie.

»Ja, ich habe es gehört. Mit Aussteigen bin ich einverstanden, aber wir gucken uns kein Einkaufszentrum an!«, entgegnete ich, als der Bus vor einer Haltestelle abbremste und wir schnell nach unten gehen mussten, um aussteigen zu können, bevor uns einsteigende Fahrgäste überrannten, die schon in beachtlicher Anzahl ungeduldig auf das Hop-On in den Bus warteten.

»Warum nicht?«, fragte Angelina unschuldig, nachdem wir aus dem Gedränge vor der Bustür herausgekommen waren, als ob sie heute noch nie etwas davon gemerkt hatte, wie genervt ich gewesen war, als sie in jedem Laden der Fußgängerzone Inventur gemacht hatte.

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Anjo Caído – Gefallener Engel
Anjo Caído – Gefallener Engel

»Darum nicht! Ich kann den ganzen Ramsch nicht mehr sehen! Lass uns lieber diese Straße hier nach unten zur Uferpromenade gehen. Dort muss doch irgendwo so etwas sein. Wir können ja mal gucken, wie die Strände hier aussehen.« Ich zeigte auf eine Stichstraße, die in ein Dickicht aus Hotels und Ferienunterkünften auf der rechten Seite führte.

»Wie du meinst!«, willigte meine Frau ein, als sie merkte, dass weitere Diskussionen über einen Schaufensterbummel im Moment ein Spiel mit dem Feuer waren.

Es gab eine Strandpromenade, stellte ich fest, nachdem wir die Straße bis zum Schluss im Zickzack zwischen den Hotelanlagen hinuntergelaufen waren, es fehlte allerdings der dazugehörige Strand, wie ich ihn kannte. Auf Madeira war er ein sehr relativierter Begriff. Nein, es fehlte nicht an Sonnenschirmen oder Liegen, es gab nur keine Möglichkeit, das Meer zu erreichen, ohne einen Beinbruch zu riskieren. Man war gut beraten, wenn man seine Schuhe einfach anbehielt – Spaziergänge über schöne, große und bunte Kieselsteine barfuß blieben länger in Erinnerung, als es einem lieb war. Für stolze Besitzer von Wasserschuhen gab es in der Regel einen meistens künstlich geebneten Zugang zum Wasser, der dazu diente, schnell ins Wasser zu springen und gleich loszuschwimmen zu einer Insel aus Styroporquadern, die etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt verankert war. Dem schlauen Plan der Madeirenser nach, sollte sie gleichzeitig Sprungbrett sowie Planschbereich ersetzen und das Gefühl vermitteln, in der Brandung zu stehen, wenn eine größere Woge darüber schwappte. Es fanden sich aber nicht unbedingt viele Styroporinselromantiker, denn außer einer lärmenden Horde Jugendlicher konnte ich dort keine Urlauber entdecken. Die Jungen liefen in wildem Durcheinander kreuz und quer über die Plattform, sprangen ins Wasser und spielten Fangen. Die Mädchen saßen am Rand, ließen ihre Unterschenkel im Wasser baumeln und kreischten fürchterlich, wenn die Jungen mit einer Gesäßbombe ihnen eine kalte Dusche verpassten.

»Wer auch immer deinen Reiseführer geschrieben hat, hat recht: Keine Insel für Badeurlauber!«, meinte ich, als wir die schön gepflasterte Promenade entlang gingen.

»Siehst du, und du lachst immer, wenn ich ein Buch vor dem Urlaub kaufe!«, erwiderte Geli.

»Ich frage mich nur: Warum sind die Hotels hier voll mit Badeurlaubern? Es sind doch Badeurlauber, oder? Auf dem Königspfad habe ich sie nicht gesehen! Ich würde auch nicht ums Verrecken in diesem Viertel wohnen wollen. Du hast ein gutes Hotel ausgesucht!«, lobte ich meine Frau.

»Wir wollten ja auch wandern und keinen Strandurlaub machen!«

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.995
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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