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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 50
In den Grotten war es feucht und warm wie in einem Levadatunnel. Es war auch kein Wunder, denn eine gute Hälfte der Hohlräume war wadentief geflutet. Die Besucher mussten aber nicht aus einer Höhle in die andere waten. Ein gut durchdachtes System von höher liegenden betonierten Pfaden und hölzernen Stegen, die auf beiden Seiten mit einem Drahtseil gesichert waren, garantierten trockene Füße und leiteten die Besuchergruppe durch die Gänge nach einem ausgeklügelten Plan. Die Fremdenführerin kannte den Plan und hielt für jede Höhle eine passende Geschichte bereit, um das Touristenvolk zu unterhalten. Die Führung fand in drei Sprachen statt: Portugiesisch, Englisch und Deutsch. Deutsch war immer als Letztes dran, aber es war nicht schwer, schon bei der portugiesischen Version zu erraten, worum es in der Geschichte ging, denn das Wort »Lava« kam in jedem Satz mindestens dreimal vor. »Lava … Lava … Lava!«, klang die geübte Stimme der jungen Frau durch die unterirdischen Gewölbe. Ich entfernte mich etwas von der Gruppe, um die Kaskaden eines kunstvoll angelegten Wasserfalls länger zu bewundern. Die Geschichte mit der Lava sowie alle Einzelheiten zur Entstehung solcher Grotten kannte ich schon von Lanzarote. Gewiss, es sah hier alles nicht wie bei Manrique aus, aber man merkte, dass auch auf Madeira ein Profi und ein einfallsreicher Künstler am Werke gewesen war, ebenbürtig dem großen Meister. Allein die bunte Beleuchtung war so geschickt untergebracht, dass man zwar jedes kleine Detail der felsigen Wände wahrnehmen konnte, verlor aber nicht den ganzen Wald vor lauter Bäumen aus den Augen. Das Hauptmotiv eines jeden Ganges war durch das Spotlight der Scheinwerfer sehr künstlerisch in Szene gesetzt. Jede Höhle war einzigartig, obwohl mir mein gesunder Menschenverstand dauernd ins Ohr flüsterte, dass es immer die gleichen graubraunen Lavasteine waren. Die farbigen Lichter spiegelten sich geheimnisvoll im unterirdischen Fluss, der seine Wasser gemächlich nach irgendwohin führte. Ob der Fluss künstlicher Natur war und etwas mit dem kleinen See vor dem Zentrum zu tun hatte oder das Nass von alleine durch den Fels von oben sickerte, entzog sich meiner Kenntnis. Es sah einfach viel zu schön aus, um noch über solche Kleinigkeiten nachzudenken.
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![]() Lavagrotten von São Vicente Die Gruppenleiterin gestikulierte aufgeregt und erklärte gerade auf Deutsch, woher die Lavamassen damals gekommen waren und in welche Richtung sie sich bewegt hatten, als ich mich wieder der Gemeinschaft anschloss. Sie stand mitten in einem größeren Gang, der Boden erinnerte an einen See, den eine Froststarre von jetzt auf gleich ereilt hatte, – der Wind krauste noch immer die Oberfläche. Es war ein vor Jahrtausenden zum Stein gewordener Lavastrom, der sich dem Himmel sei Dank in keine Richtung mehr bewegte. Es war erstaunlich, dass auch hier, tief unter der Erde, wo schon zu Zeiten der Feuerapokalypse alles Leben ausgebrannt gewesen sein musste, sich plötzlich grünlich braune Flechten an den Wänden fanden und der steinerne Lavafluss stellenweise eine dünne, empfindliche Schicht Moos angesetzt hatte. Das Leben fand immer einen Weg, sich anzupassen und durchzusetzen, man sollte es nur gewähren lassen. Interessant war mitunter, dass die Flechten sich dort angesiedelt hatten, wo der Lichtkegel eines Scheinwerfers die Felswand berührte. Künstliches Licht und Feuchtigkeit, mehr war also nicht erforderlich, damit die Pflanzen auf dem leblosen Stein gedeihen konnten. Obwohl das Höhlensystem von São Vicente den Einwohnern schon lange bekannt war, hatte man es für Besucher erst vor achtzehn Jahren zugänglich gemacht. Die für Ausflüge in die Unterwelt freigegebene Fläche war nicht besonders groß, hinter den dunklen Biegungen der Lavaröhren verbarg sich viel, viel mehr, doch die Führerin verstand etwas von ihrem Beruf, ließ sich nicht davon stören und erzählte ausführlich und viel über die dramatische Entstehung ihrer Heimatinsel, die vor Abermillionen von Jahren die Oberfläche des Atlantiks als gewaltiger Vulkan durchbrochen hatte. In ihre Geschichten flocht sie gekonnt das Klima, die Landschaft sowie die Tier- und Pflanzenwelt der Insel ein, sodass die Führung einem alles andere als langweilig vorkam und die vorgesehene Stunde schnell vergangen war. Es war ein Uhr, als unsere Augen wieder das Tageslicht erblickten. Der Magen knurrte unzufrieden und verlangte nach Nahrung. Mit einem Stück Kuchen aus dem Café wäre er vermutlich nicht ganz zu besänftigen gewesen und wir begaben uns zurück in die Altstadt. Restaurants gab es nur dort und der Supermarkt in der Fußgängerzone war der einzige weit und breit. Wir wollten schließlich noch etwas einkaufen. »Wann fährt noch mal unser Bus?«, wollte ich mich vergewissern, dass ich noch die richtige Uhrzeit im Kopf hatte. »Um drei hast du gesagt«, erwiderte Angelina. »Habe ich nicht Viertel nach drei gesagt?«, fing ich an zu zweifeln, ob ich mir den richtigen Bus im Fahrplan angesehen hatte. »Keine Ahnung! Du kannst ja nachsehen, da ist die Haltestelle«, sagte sie und hatte recht, denn wir näherten uns dem kleinen Busbahnhof – so konnte man auf Madeira schon eine Haltestelle mit Wartehäuschen und Fahrplan bezeichnen.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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