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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 3

»Wenn Sie Madeirawein kaufen oder mitnehmen wollen, bekommen Sie in diesem Dorf den Besten! Die Leute hier haben einen sehr guten Wein.«

Natürlich, fiel es mir plötzlich ein! Es war kein Schnaps, sondern Madeirawein! Genauso wie bei den Mallorquinern ein Likörchen auch am Vormittag niemals fehlen durfte, gehörte auch hier der Madeirawein, egal wie spät es am Tage war, zu dieser Insel und zu diesen Leuten.

»Trinken Sie gerne Madeira?«, wollte der Busfahrer wissen.

Was sollte ich ihm antworten? Angelina hatte so etwas hin und wieder schon mal für irgendwelche Gerichte verwendet. Ich hatte auch mal ein paar Tropfen probiert. Es waren aber immer ganz kleine Fläschchen gewesen, nicht zum Trinken.

Meine Frau sprang zu meiner Erleichterung in das Gespräch ein und erläuterte dem Portugiesen den aktuellen Sachstand: »Nein, wir nehmen ihn nur zum Kochen. Es gibt keine große Auswahl und er ist auch sehr teuer!« Sie musste es wissen, als Angestellte im Supermarkt war sie mit der Materie vertraut!

»Was kostet Madeirawein in Deutschland?«, fragte der Fahrer.

»Der Wein bei uns im Geschäft ist über sieben Euro. Es gibt aber auch welchen für zehn, habe ich gesehen!«, fuhr meine Frau mit dem Bericht über die Lage auf dem deutschen Weinmarkt fort.

Während sich die beiden über Trinkgewohnheiten von Deutschen und Portugiesen unterhielten, schaute ich aus dem Busfenster auf vorbeiziehende Häuschen und wenige Menschen auf der Hauptstraße, die ihre morgendlichen Erledigungen machten, und dachte immer noch an die Wirtschaft, die wir gerade hinter uns gelassen hatten – an die Männer auf der Terrasse, die an ihren Gläschen genüsslich nippten, an den urigen portugiesischen Wirt, der im Türrahmen seines Lokals stand und das allgemeine Geschehen im Dorf beobachtete, an die Leute, die vorbeigingen und die Kneipengesellschaft grüßten oder manchmal auch stehen blieben, um mit den Gästen den letzten Dorfklatsch zu besprechen. Es waren alles einfache Menschen vom Land, besser gesagt vom Berg, die hier ihr einfaches Leben führten und die Zeit nicht mit der Uhr maßen. In meinem Kopf war nunmehr ein Bild von einem Madeirenser entstanden: Ein älterer stämmiger Mann im offenen karierten Hemd unter einem Sakko, das seine besten Zeiten schon vor etwa zehn Jahren erlebt hatte. Seinen Kopf schmückte eine flache Schirmmütze, die bei jedem Wetter getragen wurde. Auch zu einer Madeirenserin hatte ich bereits typische Merkmale entdeckt: Eine nicht mehr sehr junge Frau, meist in einer fröhlich gemusterten seidenen Bluse, einem knielangen Rock und einem Kopftuch.

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Hotel Encumeada
Hotel Encumeada

Die Passstraße führte uns immer weiter nach oben und wurde zunehmend steil. Die Vegetation veränderte sich zusehends und wurde umso dürrer, je näher wir unserem Ziel kamen. Während wir noch vor einer halben Stunde unten in Ribeira Brava subtropische Bananenstauden und Dattelpalmen bewundert hatten, so bestand die Umgebung hier oben zumeist aus Fels und Stein. Nur ab und zu kreuzten unseren Weg kleine Wildbäche, die entlang der zugewachsenen Bergfalten durch das Lorbeergestrüpp beinahe senkrecht nach unten schossen. Gelegentlich waren die Hänge mit Sträuchern bedeckt, die sagenhaft schöne Blüten trugen und Herz und Auge erfreuten.

»Hinter diesem Berg können Sie schon das Hotel sehen«, machte der Fahrer eine vielversprechende Ansage. »Es ist nicht mehr so weit!«

Nachdem der Portugiese eine der unzähligen Kurven gekonnt gemeistert hatte, öffnete sich unseren Blicken ein prächtiges Panorama! Die Schlucht verwandelte sich auf einmal in einen riesigen Talkessel, umgeben von gewaltigen Felsformationen, die einst aus dem Ozean gehoben worden waren. Weit, weit unten sah man die Schnellstraße. Die klitzekleinen Autos stauten sich vor der Einfahrt in den Tunnel wie Ameisen auf ihrer Wanderung vor einem plötzlich aufgetauchten Hindernis. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals zu unserer Rechten beherrschte der Pico Grande mit seinen von Wind und Wetter abgeschliffenen Kanten das Bild. Den Straßenverlauf konnte man jetzt kilometerweit erkennen. Die Passstraße führte immer geradeaus, als ob sie keine Lust mehr dazu hatte, sich durch Serpentinen und scharfe Kurven aufhalten zu lassen. Der Bus kletterte immer höher und höher am steilen Hang auf der linken Seite des Kessels, geradewegs auf sein Ziel zu: Das rotgeziegelte Spitzdach mitten in einer von Grau und Grün angestrichenen Landschaft, meilenweit sichtbar aus jeder Ecke des Tals! Und die sich gespenstisch wälzende Wolke über dem Bergrücken der Insel war auch noch da, nun aber zum Anfassen nahe und nicht mehr so groß wie zuvor! Die subtropische Sonne, die derweil ziemlich hoch am azurblauen Himmel stand, machte ihre Arbeit gut.

»Wir sind da!«, rief der Fahrer, zufrieden mit sich selbst und der erledigten Aufgabe, bevor er von der Hauptstraße auf den großen Parkplatz vor dem Hotel einbog.

Er hielt nicht weit vom Eingang und half beim Abladen der Koffer. Dann verabschiedete er sich in großer Eile mit "Adeus, umas boas férias!", sprang wieder in seinen Bus und gab Gas, während ich noch in meinen Taschen herumkramte, um ihm etwas Trinkgeld für die aufregende und informative Fahrt zu geben. Man sah den Bus schon nach einigen Augenblicken die Hauptstraße hinunterrasen und hinter einem Felsen verschwinden, nachdem die Bremsleuchten noch ein paarmal in der Kurve hellrot aufgeflackert waren, als hätte er noch mal "Tschüss" sagen wollen.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 2
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 6.563
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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