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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 28

Zu meinem Erstaunen hatten mir die fünfzig Meter nach oben bis zum Anfang des Felsvorsprungs nicht viel ausgemacht. Erst oben, an der Stelle, wo Jean-Luke seine Franzosen instruiert hatte, füllten sich meine Beine wieder mit Blei. Wir wanderten trotzdem weiter. Ich fand sogar wieder meinen Rhythmus. Es war nicht das Geschaukel eines Chamäleons. Nein, auf der ebenen Strecke erreichte ich Spitzengeschwindigkeiten eines lahmen Kamels! Immerhin. Mit Absicht führte jetzt ich unsere kleine Expedition an. Der Felsvorsprung war an den breitesten Stellen nur höchstens zweieinhalb Meter breit, sodass meine Frau mich nicht überholen konnte. Die Aussicht, wieder allein gelassen zu werden, reizte mich nicht.

Nach einer halben Stunde zitterten meine Beine wieder ein wenig. Der Magen rebellierte und die schleimige Masse im Mund trieb mich in den Wahnsinn.

Ich machte einen Vorschlag: »Lass und mal diese Eier essen. Wir müssen wieder zu Kräften kommen.«

Wir setzten uns auf den Rand des Pfades und ließen unsere Füße über dem Abgrund baumeln. Angelina packte ihre Plastiktütchen mit dem Proviant aus. Es war nicht viel, es war arg wenig. Ein halber Ochse wäre jetzt sehr nützlich gewesen, um den Verlust der körperlichen Kraft zu kompensieren, welche auf diesem Hang unwiederbringlich verfeuert worden war. Stattdessen gab es zwei Eier und eine halbe Gurke. Für zwei, wohlgemerkt. Ach ja, und das Salz! Das hatte meine Frau zum Glück auch noch mitgenommen – keine Ahnung, wahrscheinlich, um unseren Mineralstoffspiegel bei mangelnder Ernährung konstant zu halten! Zu meiner Freude entdeckte ich in einer Tüte noch zwei Scheiben Graubrot. Das hatte Kalorien, wir befanden uns Gott sei Dank erst einmal nicht in direkter Gefahr, der Hungersnot zum Opfer zu fallen.

»Was hast du mir neulich gesagt? Du machst es schon? Ich meine … das mit dem Essen. Und dass ich mich nicht einmischen soll, sondern die Berge bewundern?«, fragte ich verärgert. In erster Linie über mich selbst, weil ich eine wichtige Frage aus meinem Blickfeld verloren hatte. Hätte ich mich vergewissert, dass wir genug Vorräte für eine Tageswanderung hatten, wäre so etwas nicht passiert.

»Ich wusste auch nicht, dass es so weit ist«, rechtfertigte sich Geli.

»Nicht nur weit! Es ist außerdem noch super anstrengend! Du führst uns in eine Wanderung mit dem Schwierigkeitsgrad neun von zehn möglichen und nimmst kein Essen mit? Es ist doch kein Spaziergang, hier gehen sogar Franzosen kaputt.«

»Aber …»

»Es war sehr dumm von mir, dass ich gestern keinen Wanderführer im Kiosk gekauft habe. Wir wären jetzt nicht hier, hätte ich etwas über diese Route nachgelesen! So eine Wanderung braucht Vorbereitung und ist alles andere als ›Ach, gehen wir mal ein bisschen in die Berge spazieren!‹, so sieht es aus!«

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Mittagessen am Rande des Pfades
Mittagessen am Rande des Pfades

Meine Frau schwieg. Wir aßen mit großem Appetit das, was wir hatten. Auch das Salz fand mitunter seine Bestimmung, indem es uns die Eier und die Gurke schmackhafter machte. Nachdem auch die letzten Brotkrümel aus dem Plastikbeutel gegessen waren, ließen wir den Wasservorrat kleiner werden. Die Halbliterflasche hatte jetzt noch zwei Drittel ihres Inhalts übrig.

Wir verbrachten noch mindestens eine halbe Stunde mit Kräftesammeln für die nächste Etappe. Und wo lag eigentlich ihr Ziel? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie weit ich es heute noch schaffen konnte. Vermutlich wäre ich imstande gewesen, bis zum anderen Ende des Berges zu wandern, dachte ich, denn der Felsvorsprung verlief überwiegend waagerecht und große Sprünge nach oben und nach unten waren nicht zu erwarten. Dieser Abschnitt wäre auch für mich zu schaffen gewesen. Ihn hatte ich mir schon von da unten genau angesehen. Mein Blick richtete sich auf das kleine Plateau auf dem tieferen Bergrücken und den verhängnisvollen Hang, der mich gebrochen hatte. Am anderen Ende des Vorsprungs mussten unsere Chancen aufs Weiterkommen neu bewertet werden.

Hinter unseren Rücken fand auf einmal eine regelrechte Völkerwanderung statt. Ein älterer Herr im Langstreckenläufer-Outfit schnaufte vorbei. Aufgrund seiner wuchtigen Statur und der schwungvollen Bewegungen eilte ihm eine ordentliche Druckwelle voraus, die sogar meine Nackenhaare sich kräuseln ließ. Zwei Wanderinnen mit riesigen Rucksäcken hinter ihren Schultern tauchten einige Minuten später auf und wollten an uns vorbei, sodass wir noch weiter zum Abgrund rücken mussten, damit ihre Last nicht die überstehende Felswand gegenüber berührte. Eine auseinandergezogene Wandergruppe von fünf oder sechs Leuten zog vorbei. Sie kamen alle aus der Gegenrichtung. Offensichtlich waren sie alle heute Morgen am anderen Ende des Pfades gestartet und man traf sich jetzt um die Mittagszeit im mittleren Abschnitt. Ich beneidete sie! Sie hatten gleich alle talwärts zu wandern. Und wir? Das war ungewiss.

Die Gipfel hüllten sich immer mehr in Nebel. Die Sonnenstrahlen durchdrangen kaum die dichte Decke, die den Hang, an dem wir rasteten, hinunterkroch. Mein durchnässtes Hemd ließ mich bei jedem kühleren Lüftchen etwas frösteln. Ich nahm an, dass wir uns gut genug erholt hatten, um die Wanderung fortzusetzen.

»Lass uns jetzt bis zum anderen Ende des Berges gehen. Wir können dann entscheiden, wie es weitergeht«, sagte ich.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.970
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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