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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 25

»Noch zwei Eier, eine Gurke und Brot. … und noch Salz«, sagte Geli und wich meinem durchdringenden Blick schuldbewusst aus.

»Was, was, was? Was sagst du da? Salz hast du mitgenommen?«

»Ja, es gab noch zwei Bananen. Wir haben sie gegessen. Gestern hat es ja gereicht!«, verteidigte sich meine Frau.

»Ach nee, Kinder. Wir werden hier alle draufgehen. Heute noch«, erwiderte ich enttäuscht und machte mir eine Zigarette an. Wenigstens ein ausreichender Vorrat an Tabak war gesichert.

Aufbruchstimmung herrschte plötzlich in den französischen Reihen. Frauen liefen durch die Gegend und packten ihre Blümchen ein, die Herren prüften kritisch ihre Wanderstöcke. Ich saß etwas traurig da und überlegte, ob wir jemals wieder von diesem Berg hinunterkommen sollten, als die Wandergesellschaft an uns vorbeimarschierte. Auf ihre Bonjours reagierte ich nicht mehr, mich beschäftigten gerade andere Probleme. Jean-Luke erzählte irgendwas laut und gestikulierte lebhaft. Seine Stimme war noch eine Zeit lang vom Hang zu hören, bis sie sich im Wind auflöste.

Wir hatten den ganzen Berg für uns allein. Auf dem kleinen Plateau gab es jetzt keine Franzosen und wir konnten von dort aus einige schöne Aufnahmen machen. Alle bedeutenden Berge des Zentralmassivs hatten inzwischen eine Wolkenhaube bekommen. Die Schleier glitten mysteriös über die Boca da Encumeada. Auch der Pico Grande war von einer nebeligen Suppe umgeben – man konnte einzelne Schwaden am Himmel hinter der zweiten Bergkette erkennen und manchmal zog auch ein Nebelfetzen über den vorgelagerten Berg. Ich zeigte meiner Frau unser nächstes Etappenziel auf der Felswand.

»Es ist verdammt hoch und weit. Ob wir es schaffen?«, fragte ich skeptisch.

»Ich habe damit kein Problem. Ich finde meinen Rhythmus und gehe immer weiter. Das musst du auch so machen!«

»Danke für den Tipp!«, sagte ich voller Sarkasmus. »Als ob ich nicht wüsste, wie ich es machen soll! Wir sind jetzt hier und müssen nach da. Los, gehen wir ein bisschen!«

Das Gehen erwies sich schon nach den ersten fünfzig Metern als äußerst kompliziert. Der Pfad war auf diesem Abschnitt als eine Serpentine angelegt, es machte die Sache aber nicht einfacher, es machte den Weg um ein Vielfaches länger. Dass der Anstieg dadurch weniger steil wurde, war unwesentlich, glaubte ich. Man musste ohnehin den Körper nahezu parallel zum Pfad halten, damit man irgendwie weiter kam und nicht rückwärts umfiel. Mein Gesicht befand sich vielleicht nur dreißig oder vierzig Zentimeter über dem Pfad, sodass ich mir jeden Pflasterstein und jeden Riss in den zementierten Räumen dazwischen einprägen konnte. Beinahe jede kleine Ameise auf diesem gottverdammten Acker war mir persönlich bekannt. Ich kroch förmlich vorwärts, oder besser gesagt schräg nach oben. Der Schweiß floss in Strömen von meiner Stirn genau auf die Brillengläser und machte die visuelle Orientierung fast unmöglich. Sie war auch nicht zwingend erforderlich, denn man konnte sich erfolgreich mit den Händen an den Steinen vortasten.

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Auf der Steinmauer vor dem verhängnisvollen Hang
Auf der Steinmauer vor dem verhängnisvollen Hang

Anfangs wartete Geli noch geduldig an jeder Kehre, bis ich schweißgebadet und nach Luft ringend die Stelle im Schneckentempo erreichte. Ich hatte keine Kraft mehr, um den Körper wieder in eine aufrechte Position zu bringen, und stand hechelnd zehn Minuten in gebückter Haltung, die Hände auf die Knie gestützt und den Kopf tief gesenkt. Irgendwann wurde meiner Frau das Ganze zu bunt. Sie ging an einer Kehre einfach weiter, während ich noch den ekelhaften dickflüssigen Speichel in alle Richtungen spuckte, der sich in meinem Mund bildete. Ich hatte es nicht sofort bemerkt und beschwerte mich bei ihr noch eine Zeit lang über mein schweres Schicksal. Als ich aufsah, konnte ich nur noch kurz den Rucksack auf ihrem Rücken zwischen den trockenen Grashalmen sehen.

»Warte doch mal … Nicht so schnell!«, rief ich ihr keuchend hinterher. Vergebens, sie konnte mich nicht mehr hören.

Ich war allein, zurückgelassen auf diesem Hang von der ganzen Welt und der eigenen Frau, unfähig auch nur einen Schritt nach vorne wie nach hinten zu machen. Ich erkannte, was das Wort Bergnot wirklich bedeutete.

Wie ich die nächste Kehre erreichte, konnte ich mich nicht erinnern, mir wurde zeitweise schwarz vor Augen. Aber dort war erst mal Schluss. Ich ließ mich hilflos auf den Pfad fallen und lag lange bewegungslos auf der Seite, mit dem Kopf auf den Steinen und die Beine weit ausgestreckt.

»Na, was ist jetzt?«, fragte mich mein zweites Ich höhnisch, als ich meine Augen vor Erschöpfung schloss und dem Spiel des Windes mit dem trockenen Gras zuhörte. »Sehen die Berge immer noch so schön aus wie aus dem Fenster? Wie wäre es denn mit einer Wanderung auf die Spitze des Pico Grande?«

Ich hatte keine Ahnung. Was war Pico Grande? Ich wusste nicht einmal, wo genau ich in diesem Augenblick war. Was für Berge? Es ging mir gut in meiner kleinen heilen Fantasiewelt. Alle sollten mich zufriedenlassen.

»Weißt du …?«, ließ die innere Stimme nicht ab. »Weißt du noch, wie du vor einer Stunde vor Selbstbewusstsein strotzend den Berg verspottet hast? Du hast dem Herrscher der Elfen nicht den gebührenden Respekt gezollt. Es sind seine Berge. Du musst büßen!«

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.970
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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