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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 24
»Da! Da hast du es! Der Königspfad ist frisch gepflastert!«, jubelte meine Frau, als wir ein paar hundert Meter von der alten Brücke entfernt tatsächlich merkten, dass der Pfad nun mit flachen Felssteinen befestigt war, die von erhärtetem Zement zusammengehalten wurden. »In der Tat«, sagte ich nur kurz, da der Hang zusehends steiler wurde und ich mich mit meinem Atem beschäftigen musste, um das Tempo zu halten. Wir gingen immer weiter und der Weg führte immer steiler nach oben. Ich musste mehrmals halten und fiel zurück. Geli lief dagegen wie eine Bergziege hoch und runter auf dem Pfad und machte Fotos, unter anderem von mir, vermutlich um meine Untauglichkeit zu dokumentieren und sich später über mich lustig zu machen. Der Pfad wurde noch etwas steiler und führte nunmehr entlang eines Bergrückens, der etwa fünfzig Meter über uns zu erahnen war. Augenscheinlich ein natürliches Zwischenziel, wo man sich etwas erholen konnte. Ich verstand jetzt auch den Vorteil von Wanderstöcken. Man konnte sich beim Aufstieg abstützen und einen Teil des Körpergewichts auf die Arme verlagern, damit die Beine es etwas leichter hatten. Ich konnte meine Hände aber nur auf meine Knie abstützen, sodass die Beine am Ende trotzdem das ganze Gewicht tragen mussten. »Komm, noch fünfzig Meter. Komm«, redete ich auf mich ein, als hinter uns auf dem Pfad Jean-Luke mit seiner Bande auftauchte. Er kam sehr gelegen! Ich hätte eine zusätzliche Verschnaufpause gebrauchen können. Wir traten vom Pfad beiseite, damit die Kolonne uns überholen konnte, und warteten daneben an einem birkenartigen Baum. Es war eine ziemlich enge Stelle, sodass wir auch jedem von den zehn oder fünfzehn Franzosen direkt ins Gesicht schauen und ihr freundliches »Bonjour« auch fünfzehn Mal mit einem Kopfnicken erwidern mussten. Mensch, waren sie schnell, dachte ich, als sich die Gruppe in gleichmäßigem Schritt entfernte und wir uns wieder in Bewegung setzten. Vor Anstrengung keuchend stolperte ich eine Viertelstunde später auf das kleine Plateau auf dem Gipfel des Berggrates. Angelina war schon dort und fragte spöttisch: »Na, wo bleibst du denn?«
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![]() Zwischenstation: Erster Bergrücken Für eine Antwort hatte ich keine Kraft. Ich ließ es sein und sah mich um. Anwesend waren auch die fünfzehn Mitglieder der französischen Delegation. Mesdames et Messieurs bildeten um Jean-Luke einen Halbkreis und hörten ihm mit offenem Mund zu. Er stand vor ihnen wie ein Prediger, der eine frohe Botschaft verkündete. Seine Botschaft von heute hatte etwas mit dem riesigen Berg zu tun, der die Sicht zum Pico Grande versperrte, denn während seiner Bergpredigt deutete der Prophet darauf ununterbrochen mit dem Zeigefinger und führte sehr kunstvoll und elegant seinen ausgestreckten Arm von links nach rechts über die gesamte Breitseite des Berges. Als ich diese Bewegung mit verfolgte, stellte ich mit Entsetzen fest, dass es wohl um den kaum erkennbaren Vorsprung in schwindelerregender Höhe an dieser Felswand ging – es war unser nächstes Etappenziel. Da ging es weiter auf dem Königspfad. Ich drehte mich um und schaute zurück zu unserem Hotel, das jetzt nur als ein kleiner roter Punkt auf der anderen Talseite erkennbar war. Ich begriff endlich, dass wir uns gerade auf dem ersten Bergrücken von den drei befanden, die ich vorgestern aus dem Fenster des Restaurants gesehen hatte. Der Berg, der zum Gegenstand der jüngsten Offenbarung von Jean-Luke wurde, war der zweite. Den dritten konnte man aus dieser Position nicht sehen, aber er war da, das wusste ich, und er war noch mächtiger. Das, wo wir gerade standen, stellte ein Nichts im Vergleich zum Pico Grande dar, doch ich war schon fast am Ende meiner Kräfte. Die Franzosen hatten sich ganz schön breitgemacht auf dem kleinen ebenen Platz, stellte ich fest, als mein Atem sich beruhigte und ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Die Welt war soweit wieder in Ordnung. Wir gingen ein Stückchen nach vorne auf dem frisch gepflasterten Königspfad und ließen uns auf einer kleinen Steinmauer nieder, neben einer Bresche, durch die der Pfad führte. Die Mauer umgab irgendeine große Fläche auf dem Hang, wo strohfarbene vertrocknete Gräser am Boden lagen. Man merkte aber, dass es keine wilde Vegetation war. Der Königspfad führte über diesen Acker in einem atemberaubenden Winkel von bald fünfundvierzig Grad nach oben. Es war das Tor zum Aufstieg auf die nächste Ebene! Solange sich die Franzosen mit Fragen des Routenverlaufs beschäftigten und die Französinnen Blümchen bewunderten und Gruppenfotos mit Jean-Luke machten, aßen wir zwei Bananen, die Angelina aus dem Restaurant beim Frühstück geschmuggelt hatte, und tranken die Flasche Wasser zu Ende. »Gib mir mal noch Wasser. Ich bin total erschöpft«, bat ich Angelina um Nachschub. »Hier. Sei aber sparsam. Das ist die letzte Flasche.« »Was?«, fragte ich erschrocken. »Ja, ich habe zwei Flaschen mitgenommen. Das ist die zweite.« »Bist du verrückt? Denkst du, dass wir mit einem halben Liter Wasser durch diese Berge bis nach Curral das Freiras kommen?« Ich zeigte auf den steilen Hang, der vor uns lag. »Ich weiß nicht, wir müssen.« »Gut. Wie viel Essen hast du mit?« Ich wollte die Angelegenheit vollständig klären.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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