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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 23

Wir hatten es uns gerade auf einem Stein bequem gemacht, als sie meinte: »Kannst du jetzt die Stimmen hören?«

Ich lauschte in die Wildnis hinein … Die Geschichte mit den Stimmen hörte ich von meiner Frau schon seit einer Stunde, seitdem sie sie zum ersten Mal während einer Pause zwischen den Steinmäuerchen einer vergessenen Ackerfläche gehört haben wollte, die terrassenartig am Hang angelegt war und schon mindestens zehn Jahre nicht mehr bestellt wurde. Ich hatte dort nur das Zwitschern der Vögel und das Hauchen des Windes in den Baumwipfeln vernommen, jetzt konnte ich aber ganz deutlich Fetzen menschlicher Sprachlaute erkennen, die das leichte Lüftchen irgendwo vom Wald oben am Hang herüberwehte.

»Ja, jetzt höre ich sie!«, erwiderte ich und schaute neugierig nach oben. »Wer ist das? Es sind auch mehrere Personen!«

»Es sind bestimmt die Franzosen.«

»Es kann schon sein. Aber wie kommen sie da nach oben? Wir sind ja den ganzen Weg bis hierhin gewandert und haben keine Franzosen getroffen! Es gab auch keinen Abzweig von dem … Obwohl, doch, es gab ganz am Anfang einen Weg.« Ich versuchte zu verstehen, welchen Pfad Jean-Luke mit seiner Truppe gewandert sein konnte.

Zum letzten Mal hatten wir die französische Wandergesellschaft heute Morgen gesehen. Wir standen noch vor dem Hotel an der Passstraße, bereit zum Aufbruch, als die kompakte von Jean-Luke angeführte Schar im Bergsteiger-Outfit an uns vorbeizog. Sie sahen alle so bewundernswert fit aus und klapperten eindrucksvoll mit ihren Wanderstöcken auf dem harten Straßenbelag wie eine Elchherde mit den Hufen auf einem zugefrorenen See. Sie mussten den Abzweig am Anfang der Route genommen haben. Offenbar gab es noch einen höher gelegenen Pfad. Oder, was auch denkbar gewesen wäre, sie waren heute in der Früh zuerst bis zum Pass hochgewandert, um von dort ihren Abstieg in den Curral Jancão – so hieß die Gegend hier – zu beginnen, vorausgesetzt, es gab überhaupt so einen Pfad. Von der Zeit her hätte es gepasst. Sie waren unvorstellbar schnell, davon hatte ich mich heute am Hotel überzeugen können, als die Gruppe in nicht einmal fünf Minuten hinter der fünfhundert Meter entfernten Kurve verschwunden war. Vermutlich konnte Jean-Luke nicht nur Schnaps konsumieren, sondern kannte sich auch in diesem Gebirge aus. Jetzt kreuzten sich wieder unsere Wege, denn über die alte Brücke musste wahrscheinlich jeder, wer auf die andere Seite des Wildbachs Ribeira do Poço wollte.

»Vielleicht sind es auch keine Franzosen, die in der Gegend herumirren! Es sind vielleicht wieder irgendwelche Kobolde, die uns im Wald verfolgen!«, mutmaßte ich scherzhaft.

»Hör auf!«, antwortete Angelina, die nicht auf Horrorgeschichten eingestellt war.

»Was ist denn jetzt eigentlich mit frisch gepflastert?«, wechselte ich das Thema. »Wo? Ich sehe nichts. Es ist ein ganz normaler Trampelpfad!«

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Hotel von unterhalb des Turmberges
Hotel von unterhalb des Turmberges

»So stand es im Reiseführer. Ich weiß nicht, es kommt bestimmt noch.«

»Dann wollen wir mal sehen«, meinte ich und stand auf, um die Wanderung fortzusetzen.

Ich fühlte mich unbeschwert, voller Kräfte und jedem Aufstieg oder Hindernis auf unserem Weg gewachsen! Bis jetzt hatte unsere Bergwanderung eher an einen Spaziergang am Sonntagnachmittag erinnert. Sie war noch einfacher als der Levadaausflug gestern. Es ging immer leicht abwärts. Das machte mir zwar einige Sorgen hinsichtlich des Rückwegs, aber das Gefälle war so gering, dass wir es mit Leichtigkeit gemeistert hätten, nahm ich an, als ich an den Wegabschnitt dachte, den wir von der Passstraße bis hierhin zurückgelegt hatten. Nachdem wir vom Hotel bis zur Gabelung hinaufgestiegen waren und den Königspfad betreten hatten, führte uns der Schotterweg auf die gegenüberliegende Seite des Talkessels von Ribeira Brava. Von einem Vorsprung unterhalb des Turmbergs bewunderten wir unser Hotel auf der anderen Seite, das mit seinem roten Dach wie auf einem Präsentierteller vor uns lag. Aus dem breiten Schotterweg wurde bald ein enger Trampelpfad, teilweise zugewachsen und von Baumwurzeln unterbrochen, dennoch immer gut erkennbar, um nicht eine falsche Richtung einzuschlagen. Dichte Eukalyptuswälder mit angesengten Baumstämmen wechselten sich mit komplett abgebrannten Stellen am Hang ab, die nur mit verkohlten Baumresten bedeckt waren. Es waren wohl die Folgen der schlimmen Waldbrände, die die Insel vor zwei, drei Jahren heimgesucht hatten – ich konnte mich noch an die Meldungen in den Nachrichten erinnern. Doch die Natur hatte sich in der Zwischenzeit merklich erholt. Sogar auf den schwarzen, vom Brand geschädigten Flächen spross unter den verbrannten Baumstümpfen üppiges Grün hervor. Einige Wasserläufe querten den Pfad und waren mit grob gezimmerten wackeligen Stegen überbrückt, die kein Vertrauen erregten, unser Gewicht aber ächzend trugen. Bald mussten wir unsere warmen Jacken ablegen, die uns vor der kühlen Morgenluft geschützt hatten. Es war ein warmer Sommertag, vom wolkenlosen Himmel schien die Sonne in das Tal hinein und ließ uns schwitzen. Ich tauschte meine Jeans gegen eine kurze Hose, was ich möglicherweise nicht hätte tun sollen – meine Beine zeigten schon nach einer Viertelstunde blutige Spuren der Begegnungen mit dem stacheligen Brombeergestrüpp zu beiden Seiten des Pfades. Aber von Müdigkeit oder Erschöpfung war keine Rede! Es konnte ja nicht mehr viel schiefgehen, dachte ich übermütig, nachdem wir an der Brücke aufgebrochen waren, egal, dass der Weg jetzt ein bisschen nach oben ging, es war doch etwa das gleiche Gefälle wie zuvor nach unten.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.970
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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