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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 20

»Komm, gehen wir!« Er verschwand in der Böschung und seine Frau trippelte ihm hinterher wie ein schuldbewusstes Hündchen.

»So, was hätten wir hier im Angebot? Ribeira Grande«, las ich die Aufschrift auf einem pfeilförmigen Brett vor, das nach unten auf eine Treppe aus Rundhölzern zeigte. »Keine Ahnung, wo es ist, aber die Entfernung beruhigt. Nur drei Kilometer!«

»Weißt du … ich habe die Frau gerade in große Verlegenheit gebracht. Mist!«, ärgerte sich Angelina.

»Was war denn?«

»Sie stand zuerst allein hier und fragte mich, wo wir jetzt auf dem Wanderplan sind.«

»Und das hast du ihr auch gezeigt!«, sagte ich sarkastisch und schmunzelte.

»Ja …«, bedauerte Angelina. »Dann kam der Mann und sie erklärte ihm: ›Sooo! Wir sind jetzt hier … und müssen nach da!‹«, ahmte meine Frau den Tonfall der Unglücklichen nach und führte vor, wie sie mit dem Finger jeweils auf den vermeintlichen Ausgangspunkt und das Ziel der Wanderung auf dem Plan tippte. »Er brüllte sie nur an: ›Nein! … wir sind jetzt hier! … und müssen nach daaa!‹«, gab Geli kunstvoll den anherrschenden Ton des Mannes wieder, der nun seinerseits mit dem Finger fuchtelte und die entgegengesetzte Wanderrichtung auf dem Plan anzeigte.

Ich lachte von Herzen. »Das hat man davon, wenn zwei Frauen etwas machen, wovon sie keine Ahnung haben!«

»Es tut mir jetzt leid, dass ich sie in diese Situation gebracht habe. Sie wollte ihm nur den Weg zeigen. Warum hat er sie einfach angebrüllt?«

»Ach, nur den Weg zeigen? Das kommt mir bekannt vor! Sie wird es schon überleben. Ich kann mir eher vorstellen, dass sie ihn schon seit zwei Tagen mit dieser Wanderung nervte und mit ihrem Orientierungssinn glänzte, bis er eingewilligt hat mitzugehen, statt unter dem Sonnenschirm schöne Mädchen am Strand zu beobachten!«, legte ich unvorsichtigerweise den Finger in die offene Wunde.

»Das hättest du gerne! Außerdem müssen Frauen so was nicht können. Dafür sind Männer da! Und wenn sie nur Mädchen beobachten wollen, bitte! Dann bleibt auch nichts anderes übrig, als alles selbst zu machen!«

»Pass auf! Wir sind jetzt hier …« Ich zeigte mit dem Finger auf unseren aktuellen Standpunkt auf dem Wanderplan. »Und müssen nach da!« Nun verdeutlichte ich die Wanderrichtung zum Durchbruch in der Felswand mit einer schwungvollen Handbewegung. »Los, gehen wir ein bisschen!«

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Wegweiser nach Ribeira Grande am Pass
Wegweiser nach Ribeira Grande am Pass

Wir nahmen den uns bereits vertrauten Weg vorbei am Berghof, wo uns der Hahn aus dem Gestrüpp am Straßenrand mit einem lauten Schrei begrüßte. Je steiler die Straße nach unten führte, desto langsamer wurde meine Frau, während ich unbeschwert nach unten marschierte und stellenweise fast laufen musste, um auf der abschüssigen Fahrbahn das Gleichgewicht zu halten. Im Gegensatz zum Aufstieg hatte ich jetzt einen Vorsprung von gut fünfzig Metern. Ich hielt an der Kreuzung mit den Schildern, die zu einer Dreizehn-Kilometer-Wanderung nach Curral Jancão, Boca da Corrida und Curral das Freiras einluden, es war der Schotterweg, den wir gestern entdeckt hatten, und wartete auf sie.

»Was ist denn los?«, fragte ich besorgt, als Angelina hinkend die Kreuzung erreichte.

»Du hast ein Problem mit dem Aufstieg und ich habe ein Problem mit dem Abstieg!«, sagte sie und schüttelte das angehobene Bein, um die Muskelspannung zu lockern. »Ich bekomme Wadenkrämpfe, wenn ich steil nach unten gehe.«

»Okay. Wir können ja langsamer gehen und mehr Stopps machen. Gibst du mir mal die Kamera? Ich mach ein Foto von diesen Schildern. Mal sehen!«

Die Schotterstraße war ziemlich eben und zwei deutliche Spurrillen zeugten davon, dass auch Autos die Straße befuhren. Wo Autos fahren konnten, konnte sich auch ein Mensch bewegen, ohne auf eine Felswand klettern zu müssen. Es war verlockend. Ich machte zwei, drei Bilder.

»Lass und doch morgen hier lang gehen!«, schlug Angelina vor.

»Du willst ja unbedingt diese Route nehmen. Wir sehen gleich nach, wo Curral das Freiras liegt«, tröstete ich sie und schob meinem Rucksack auf dem Rücken zurecht, in seinem Inneren klirrte die wertvolle Fracht. »Lass uns schon weitergehen, es ist nicht mehr weit.«

Solange Geli duschte, nachdem wir kurz nach fünf auf dem Zimmer angekommen waren und die Wanderklamotten abgelegt hatten, beschäftigte ich mich mit dem Inhalt meines Rucksacks. Alle drei Flaschen Madeira standen nun auf dem Schminktisch und ich hatte Durst! Durch die Qual der Wahl hin- und hergerissen, entschied ich mich für den Seco. So hatte ich es mal vor vielen Jahren gelernt, als ich eine Zeit lang als Handelsreisender Wein verkauft und Weinproben veranstaltet hatte. Man fing immer mit den trockensten Sachen an und bewegte sich langsam in die liebliche Geschmacksrichtung. Anders herum schmeckten die trockenen Weine nach absolut gar nichts. Ich schenkte mir erst einmal ein halbes Glas ein – immerhin hatte der Traubensaft achtzehn Prozent Alkohol in sich – und stillte gierig meinen Durst, bis das Glas leer war. Ein unbeschreibliches Feuerwerk der Geschmackserlebnisse entstand in meinem Mund: frisch, fruchtig, intensiv, kräftig! Den hohen Alkoholgehalt hatte ich nicht einmal gemerkt, der Wein floss wie Wasser hinunter, ohne im Hals zu kribbeln. Das musste wiederholt werden, auf einem Bein konnte man nicht gut stehen! Noch ein Glas wurde halbvoll gemacht, um den Restdurst zu löschen, und in einem Zug leer getrunken. Im Kopf rauschte es schon leicht, als ich mir eine Zigarette anmachte und aus der offenen Balkontür rauchte. Ja, das war ein Ding, dieser Madeira, dachte ich, als meine Frau aus dem Bad mit frisch geföhntem Haar kam und abwechselnd mich und das leere Glas vorwurfsvoll anschaute.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.970
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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