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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 17

Nach nicht allzu langer Zeit kreuzte ein Wasserfall beachtlicher Größe unseren Weg. Das Wasser prasselte vom Plateau Paul da Serra nieder, das die Levada do Norte zuverlässig mit Nachschub versorgte. Wie ich festgestellt hatte, wurde das Wasser nur zum Teil in den Kanal umgeleitet, man konnte die Menge durch eine Art Schleusensystem neben einem Staubecken unter dem Wasserfall regeln. Der Rest floss als steiler Sturzbach weiter nach unten zwischen abgeschliffenen Steinen. Am Wasserfall verschwand die Levada abermals in einem dunklen Loch, das in der Felswand gähnte. Rund um den Tunneleingang hatte sich Moos angesetzt, eine dicke grüne Schicht überzog die Wände im Inneren der Felsöffnung und erinnerte etwas an eine Berghöhle aus dem Tertiärzeitalter. Urzeitliche Kreaturen sahen wir keine, dafür bekamen wir aber zwei waschechte Briten zu Gesicht in Begleitung eines örtlichen Wanderführers.

Das ziemlich betagte Ehepaar amüsierte sich am Wasserfall beim Anblick der rosafarbenen Hortensien. Die Lady, vornehm gedresst, streichelte in vorgebeugter Haltung die zarten Blüten und nahm sie vorsichtig zwischen ihre Handflächen, um daran zu riechen. Seine Lordschaft, in einem Tropenforscher-Outfit aus teurem englischen Tuch, stand daneben und deutete mit der Hand auf die Blumen mit violetten Blüten auf der anderen Seite des Staubeckens – sie gefielen ihm augenscheinlich besser!

Die feuchtwarme Luft hatte bei mir schon die ersten Schweißperlen auf die Stirn getrieben, daher beschlossen wir eine Pause einzulegen und hielten in einiger Entfernung von der Gruppe, um die feine Gesellschaft durch unsere Anwesenheit nicht zu stören. Wir nahmen Platz auf einem Betonblock, der vor dem Tunnel die Levada überbrückte, und grüßten uns gegenseitig mit dem Fremdenführer. Die Engländer winkten uns ebenfalls zu.

»Sir, it's very dangerous! The stones can be very slippery«, warnte der Portugiese das Paar vor der Rutschgefahr auf den Steinen, das sich inzwischen die Schuhe ausgezogen und die Hosen hochgekrempelt hatte. Ihre Hoheiten wünschten ein Fußbad im kühlen Bergwasser.

»Thank you, Sir. Of course, we will take care.« Der Engländer nahm die Warnung zur Kenntnis, schob seinen Tropenhut auf dem Kopf zurecht und griff bereitwillig seiner Dame unter den Arm, die gerade sehr unbeholfen versuchte, barfuß über die spitzen Steine zu laufen.

Der Führer schmunzelte verstohlen und zwinkerte in unsere Richtung. Er hatte sich heute aber auch was vorgenommen, dachte ich voller Mitleid mit dem portugiesischen Sherpa. Zwei achtzigjährige Kinder, die sich kaum bewegen konnten, bei einem Ausflug in die Berge zu begleiten, war schon nicht einfach. Ich überlegte nur, wie lange sie bis hierhin gewandert sein mussten. Es sah danach aus, dass die Britin an jeder Hortensienstaude Station gemacht hatte. Ob Seine Hoheit auch jedem Leprechaun auf dem Hang nachgejagt war? Es spielte auch keine Rolle, der Individualbetreuer musste in jedem Fall gut aufpassen, dass sich die beiden nicht die Beine beim Botanisieren brachen. Hubschraubereinsätze waren in aller Regel teuer! Doch Arbeit war Arbeit und die Madeirenser konnten da nicht besonders wählerisch sein, die überwiegende Mehrheit der Insulaner kam aus sehr einfachen Verhältnissen. Wenn zwei ältere Untertanen Ihrer Majestät schon Geld für individuelle Wanderführer bezahlten, fanden sich auch Menschen, die das Geld verdienen wollten. Während die Briten noch im Staubecken herumplanschten, nahmen wir einen Schluck Wasser und brachen auf.

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Unterwegs durchs Folhadal
Unterwegs durchs Folhadal

Ich sah auf meine Uhr, nachdem wir voraussichtlich den letzten für heute Tunnel passiert hatten und auf dem Platz vor dem Eingang stehen geblieben waren. Es war kurz nach ein Uhr. Seitdem wir uns von den Engländern verabschiedet hatten, war es schon zum dritten, nein, zum vierten Mal gewesen, dass wir an diesem sonnigen Tag in die Dunkelheit eintauchten. Die unterirdischen Gänge waren bei Weitem nicht so gut wie der allererste Tunnel, der uns auf die Nordseite geführt hatte. Sie waren viel zu eng, die Luft im Inneren war feucht und stickig und die messerscharfen vorstehenden Steine an den Wänden stellten eine ernst zu nehmende Gefahrenquelle dar. Obgleich die Tunnel noch harmlos im Vergleich zu dem unterirdischen Wasserlauf aus dem Reiseführer wirkten, wo man sich laut Beschreibung nur auf allen vieren bewegen konnte – etwas für unheilbare Tunnelschwärmer! –, erfreute ich mich jedes Mal des hellen Tageslichtes, wenn wir wieder ins Freie kamen. Man musste aber auch dort immer auf der Hut sein. Es ließ sich zwar wesentlich leichter atmen, aber vor solchen Gefahren wie enge oder glitschige Abschnitte, die eine Bergwanderung mit sich brachte, war man keineswegs geschützt. Hin und wieder kamen auch andere Levadawanderer um die Ecke, sodass ich immer aufpassen musste, ob an einer engen Stelle nicht zufällig Gegenverkehr in Sicht war. Am besten blieb man vor dem gefährlichen Bereich stehen und gab sich gegenseitig entsprechende Zeichen, wer als Erster die Stelle passieren sollte. Als wir vor nicht einmal einer halben Stunde in so eine Situation an einer Stelle geraten waren, wo der Wasserkanal gerade mal genug Platz an der Kopfseite einer tiefen Klamm hatte, blieb ich brav stehen, nachdem ich auf der anderen Seite ein Ehepaar mittleren Alters bemerkt hatte. Das Paar sah wie wir ziemlich laienhaft aus und ging anscheinend ebenfalls durchs Folhadal spazieren, musste aber auch bereits die Erfahrung gemacht haben, dass es sinnvoller war, den entgegenkommenden Wanderern den Vortritt zu lassen. Rechts gähnte ein bodenloser Abgrund und die Aussicht, sich mit vier Mann in der Mitte zu treffen, um sich auf dem schmalen Pfad aneinander vorbeizuzwängen, reizte die beiden offenbar nicht im Geringsten, denn sie blieben ebenfalls stehen, sobald sie uns gesehen hatten. Ich gab dem Mann einen Wink, er nickte zustimmend und das Paar setzte sich in Bewegung, nachdem er seiner Frau über die Schulter gesagt hatte: »Siehe nicht nach unten!« Das Pärchen war der deutschen Sprache mächtig, ich freute mich schon darauf, dass ich gleich jemanden fragen konnte, wie weit die Levada noch ging, denn sie kamen aus der Gegenrichtung und waren möglicherweise bis zur Quelle gewandert. Allerdings wusste keiner von beiden, wie weit und wohin die Levada führte. Trotzdem hatte ich mich diesmal mit dem Mann ausgiebig über die aktuelle geographische Position und den Routenverlauf auf der Karte unterhalten können, ehe wir unserer Wege weitergingen.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.970
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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