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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 13

Ich weckte meine Frau, sie war Langschläferin und brauchte vor dem Frühstück noch eine Weile, um zu sich zu kommen und ansprechbar zu sein. Jetzt war der Zeitpunkt genau richtig, bis zum Frühstück war noch eine Stunde Zeit und wir mussten pünktlich sein, denn wir hatten noch etwas vor! Solange sich Angelina im Waschraum mit sich selbst beschäftigte und Helios noch eine Weile brauchte, nahm ich mir die vorhandenen Wanderkarten vor. Die meisten waren einfach unbrauchbar, aber eine weckte meine Aufmerksamkeit, weil darauf sogar die Levada eingezeichnet war, die wir gestern erforscht hatten. Das war nicht einmal auf der großen Übersichtskarte aus dem mitgebrachten Reiseführer der Fall!

»Hier!«, brüstete ich mich mit meiner Entdeckung vor meiner Frau, als sie aus dem Waschraum zurückkehrte. »Diese ist noch halbwegs vernünftig. Die nehmen wir mit, für den Notfall. Siehst du, man kann sogar den Tunnel erkennen, den wir gestern gesehen haben – die Unterbrechung hier. Und auf der anderen Seite geht es weiter!« Ich fuhr auf der ausgebreiteten Karte mit dem Finger entlang der blauen Linie, die den Wasserkanal von gestern darstellte.

»Nimm, was du willst! Für mich sehen sie alle gleich aus«, lautete die Antwort. »Ich nehme meine Sachen mit und du nimmst deine.«

»Was willst du denn überhaupt mitnehmen? Vergiss nicht die Taschenlampe! Haben wir noch irgendwas Essbares zum Mitnehmen?«

»Lass mich zufrieden! Du weißt doch, ich will nicht gestört werden, wenn ich packe!«

»Ja, ich weiß auch, dass wir dann untragbare Koffer haben. Oder dass die wichtigsten Sachen erst gar nicht mitgenommen werden!«

»Dann pack deine wichtigen Sachen in deinen Rucksack und ich lege meine in meinen«, beendete sie die Auseinandersetzung und schaute fasziniert in den Himmel.

Wenn mir gestern jemand erzählt hätte, dass ich heute eine Sonnenfinsternis erleben sollte, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Aber so etwas Ähnliches spielte sich gerade am Himmel ab. Die Sonne stand jetzt zwar über dem Bergkamm und warf ihre Strahlen auf die umliegenden Gipfel, aber vom Balkon aus war sie nicht zu sehen. Der Felsturm auf der Spitze des Pico Topeiro verdeckte fast perfekt die glühende Scheibe wie der Mond die Sonne während einer Finsternis. Wie ein Heiligenschein umgab ein leuchtender Kreis die Spitze des seltsamen Gebildes. Wir sahen wie verzaubert dem Naturschauspiel zu. Die strahlende Krone bewegte sich langsam hinter dem Berg, als hätte sie noch nicht die richtige Position auf dem Haupte ihres Gebieters gefunden, bis sie schließlich für ein paar Minuten genau in der Mitte stehen blieb und danach die Zeremonie der Entkrönung des Berges begann. Es fehlte nur noch eine Spezialbrille, um das beeindruckende Spektakel am Himmel im Detail beobachten zu können, – der grelle Sonnenkranz tat den Augen schon nach einem Wimpernschlag weh. Eine Viertelstunde dauerte das Versteckspiel mit der Sonne, ehe sie alles ringsum in ihr warmes gelbes Licht tauchte.

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Turmberg verdeckt die Sonne
Turmberg verdeckt die Sonne

Die Zeit verging schnell, der Stundenzeiger auf der Uhr kroch unaufhaltsam auf die Acht zu. Es war Frühstückszeit und eine Stärkung konnte vor einer Levadawanderung nicht schaden. Um ins Restaurant zu kommen, musste man durch das ganze Hotel und die Treppe nach unten zum Eingang laufen, dort gab es noch eine Seitentür, die ins Restaurant führte. Sie stand breit offen. Ein Kellner, der neben der Tür den Besuchern mit fröhlichem Gesicht »Good Morning!« wünschte, fragte uns nach dem Namen und machte eine einladende Geste, nachdem er in seiner Liste ein Kreuzchen gesetzt hatte. Es war gestern beim Abendessen auch der Fall gewesen, möglicherweise lag der Grund für die Kontrolle darin, dass man die Zimmer mit und ohne Verpflegung buchen konnte oder, was nicht weniger plausibel erschien, dass Buch darüber geführt wurde, ob die Gäste von ihren Ausflügen und Wanderungen heil und an einem Stück zurückgekehrt waren. Es war keine sinnlose Vorsichtsmaßnahme. »Deutsches Rentnerpaar auf Madeira abgestürzt«, hatten erst vor zwei Wochen die Zeitungen getitelt und mich nachdenklich gestimmt. Was auch immer der Grund war, die Namen auf der Liste wurden konsequent abgehakt, obwohl die Kellner nicht mehr alle nach dem Namen fragten, da sie schon die meisten persönlich kannten. Wir waren nicht die ersten frühen Vögel im Speisesaal: Einige Wanderinnen aus der französischen Gruppe, die hier gestern eine fröhliche Tafelrunde mit Wein und Schnaps veranstaltet hatten, huschten zwischen ihren Tischen und dem Frühstücksbüfett. Sie unterhielten sich halblaut mit besorgtem Gesichtsausdruck auf Französisch, wovon ich kein Wort verstand, doch ein Name fiel fast in jedem Satz: Jean-Luke … Jean-Luke … Jean-Luke. Er war offenbar die Ursache für die allgemeine Aufregung. Nach meinem Wissensstand hörte der Anführer der französischen Wandergesellschaft auf diesen Namen, zumindest hatte ihn der Rest der Gruppe auf diese Weise angesprochen, als ich gestern in der Empfangshalle die Internetverbindung eingerichtet und gezwungenermaßen die Fortsetzung der kleinen Begrüßungsparty miterlebt hatte.

Wir wählten einen Tisch vor dem großen Fassadenfenster mit Ausblick auf das Pico-Grande-Massiv. Neben den traditionellen Wurst- und Käseaufschnitten verwöhnte der Küchenchef die Gäste mit ausgefallenen Schinkensorten, zahlreichen Joghurtkreationen, kalten und warmen Getränken und sonstigen exotischen Leckereien, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Freunde der deftigen Frühstücksversion kamen ebenfalls nicht zu kurz. Es roch kräftig nach gebratenem Speck, der bei mir – mit Spiegeleiern garniert – den Hunger bis spät in den Abend hätte stillen können. Einer der Köche ließ das Herz der Franzosen höher schlagen, indem er von einem Backeisen frisch gebräunte Crêpes servierte.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.965
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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