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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 123

Es war der bequemste, trockenste und angenehmste Levadatunnel von allen, die wir je auf Madeira bewandert hatten. Der ausgezeichnete Zustand der unterirdischen Passage war eher eine Ausnahme aus der Regel. Wir waren schon durch Tunnel gewandert, wo der Pfad neben dem betonierten Kanal völlig naturbelassen war und man durch Schlammlöcher marschieren musste, um auf der anderen Seite hinauszukommen bis zu den Knien verschmiert mit Matsch und Dreck. Es hatte mitunter Tunnelwanderungen gegeben, die mehr an einen Ausflug in eine Tropfsteinhöhle erinnerten, um nicht zu sagen an einen Spaziergang durch eine Autowaschanlage. Heftige Regenschauer von der Tunneldecke wechselten sich ab mit kleineren Wasserfällen an den Wänden und mittelgroßen Strömen auf dem Boden, sodass man am anderen Ende pudelnass wieder das Licht der Welt erblickte. Besonders unheimlich waren lange Tunnel gewesen, die unter dem Berg mehrmals ihre Richtung änderten. Im Grunde war man in der absoluten Dunkelheit – von einem dünnen Lichtstrahl der Taschenlampe abgesehen – völlig auf sich selbst gestellt. Man konnte nicht ahnen, welche Überraschungen das undurchdringliche Schwarz da vorne für einen bereithielt, wohin das Licht der Lampe nicht mehr reichte. Wenn sich bei diesen Umständen auch noch der kleine weiße Punkt, der rettende Ausgang, hinter einer Biegung versteckte, wurde es ganz gruselig und einsam. Es machte einem Angst und Bange, wenn man nur darüber nachdachte, was wenn das felsige Gewölbe plötzlich unter dem Gewicht des Berges einstürzte, denn man war in der Regel im ganzen Tunnel mutterseelenallein. Es gab keine Spaziergänger und keine Wanderer, es gab niemanden, der dir zu Hilfe geeilt wäre, nicht einmal jemanden, der nach dir gesucht hätte, wenn du nicht mehr aufgetaucht wärest. Du hättest nie wieder das Licht der Welt gesehen. Nie im Leben. Die Angewohnheit der Kellner im Hotel, die Gäste beim Abendessen zu zählen, war nun doch nicht so abwegig, wie sie auf den ersten Blick zu sein schien.

Im Folhadal war es sonnig. Der Nebel hatte sich zurückgezogen und verborgene Stellen am Hang freigelegt, die ich bei unserem ersten Besuch nicht gesehen hatte. Es war ein richtiges Dickicht aus moosüberwachsenen Baumstämmen, ein undurchdringliches Geflecht miteinander verknoteter Äste, die einen perfekten Lebensraum für Kobolde und ähnliche Kreaturen bildeten. Sie hatten heute das Weite gesucht, bevor die Sonnenstrahlen den Nebel aus dem Schlaf kitzelten und in die Flucht schlugen. Zu meiner großen Freude entdeckte ich keine Anzeichen für die Anwesenheit des Elfenvolkes. Nur ein Umstand kam mir seltsam vor: Die Strömung im Kanal brachte von oberhalb große Moosklumpen mit sich, die majestätisch langsam auf der Oberfläche trieben und hinter unserem Rücken im Tunnel verschwanden.

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Eingang des Tunnels zum Folhadal
Eingang des Tunnels zum Folhadal

Wir standen auf dem Platz vor der Tunnelöffnung, wo wir uns vor zwei Wochen mit einem jungen Pärchen unterhalten hatten. Zu der Zeit hatte ich hier den improvisierten Wanderplan studiert, um zu wissen, wo wir waren und wohin der Weg führte. Diesmal brauchte ich aber keine Karte, ich wusste, wohin wir wollten, und ebenso gut kannte ich alle Hindernisse, die uns auf den nächsten drei Kilometern stromaufwärts erwarteten. Die Sache mit dem schwimmenden Moos musste noch geklärt werden. Anscheinend hatten die treibenden Pflanzen ihren Ursprung an den Wänden der Wasserrinne, die mit einer dicken grünen Pflanzendecke überwuchert war. Aber was oder wer war der Grund dafür, dass sie sich von der Wand ablösten? Ob irgendwo vorn ein widerwärtiger Troll sein Unwesen trieb und das Wasser vergiftete?

»Sollen wir?«, fragte ich Geli, nachdem wir uns wieder an das Tageslicht gewöhnt hatten.

»Ja«, erwiderte sie und rückte den Rucksack hinter ihren Schultern zurecht. »Wie weit müssen wir gehen?«

»Ich habe keine Ahnung! Wir laufen einfach, solange wir können und die Zeit es erlaubt. Irgendwo muss ja diese Levada ihren Anfang haben!«

»Okay«, sagte sie und wir beschritten den Levadapfad.

Wir bewegten uns schnell und es dauerte nicht lange, bis wir die Stelle erreichten, an der der Wasserlauf einen Bogen um einen Felsen machte. Ich erinnerte mich noch genau, dass hinter der Biegung der Wasserfall auftauchen musste, wo wir die botanisierenden Briten getroffen hatten.

»Hoffentlich ist es nicht wieder ein Liebespärchen!«, wandte ich mich an meine Frau mit lauter Stimme, als ich zwei Leute hinter dem Berg sprechen hörte.

»Ich glaube nicht!« Angelina sprach ebenfalls absichtlich in einer hohen Tonlage.

Es war aus Erfahrung besser, sie aus der Distanz zu warnen. Leute mit entblößten Körperstellen zu überraschen, die sonst immer bedeckt blieben, war das Letzte, was ich mir heute wünschte.

»Solche Geräusche würde kein Liebespärchen machen!«, lenkte Geli meine Aufmerksamkeit auf das leise Pochen und Schaben, das offenbar etwas mit den zwei Stimmen zu tun hatte. Es kam aus derselben Richtung.

»Wir werden es gleich erfahren!« Ich war mir immer noch nicht sicher.

»Siehst du! Kein Liebespärchen!«, sagte sie, als sich hinter dem Felsen ein schnurgerader Abschnitt öffnete, auf dem zwei Männer in Arbeitskleidung mit Schaufel und Schippe sichtbar wurden.

Sie gehörten anscheinend zu einem Wartungstrupp, der fällige Arbeiten an der Levada verrichtete. Es waren die Kobolde, die das klare Wasser der Levada trübten. Sie reinigten den Kanal von Moos und Dreck und ließen das Ganze von der Strömung mitnehmen. Ich hätte möglicherweise die Reinigungsmethode vorgezogen, die das Ablegen von abgeschrubbten Pflanzen neben der Levada vorsah, aber sie wussten es besser, schließlich machten sie diesen Job bestimmt nicht zum ersten Mal.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 12.013
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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