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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 122
»Weißt du noch, wohin der Weg führt?«, erkundigte sich Geli hämisch, während wir den Abzweig zum Königspfad passierten. »Jaja«, drückte ich aus mir widerwillig heraus. Mit Erinnerungen dieser Art wollte ich nicht konfrontiert werden. Natürlich wusste ich genauestens, was es für ein Weg war, und ja, natürlich, ich konnte mich noch in allen Einzelheiten erinnern an den Geschmack des Staubes, der zwischen meinen Zähnen geknirscht hatte. Ich hätte es lieber alles für immer vergessen. »Oooh, spiel jetzt nicht den Beleidigten! Komm, spazieren wir ein bisschen auf dem Schotterweg!«, gab meine liebe Frau keine Ruhe. »Wir sind jetzt hier und müssen nach da!«, herrschte ich sie an, drehte mich um und ging weiter auf der Straße nach oben. Erst zwei Minuten später wunderte ich mich, wie leicht mir dieser Ausdruck über die Lippen geglitten war! Als hätte ich ihn schon seit Jahrzehnten fest in meinem Sprachgebrauch gehabt. Aber nein! Da oben am Pass vor zwei Wochen hatte ich ihn zum ersten Mal gehört. Das war wirklich eine lustige Geschichte von einem Paar, das sich um den Ausgangspunkt und das Ziel der Wanderung stritt. Ich war mir sicher, dass sowohl die Geschichte als auch der Spruch uns noch Jahre begleitete. Er klang einfach viel zu schön. Vor allem, wenn man noch den Hintergrund dazu kannte. Am Pass änderte sich seit unserem letzten Besuch nicht viel. Der Berghof stand wohlbehalten noch dort, wo wir ihn zuletzt gesehen hatten, als wir nach der Pico-Ruivo-Tour vom Berggrat abgestiegen waren. Der Hund hinter dem Haus bellte sich seine Seele aus dem Leib und versuchte, eine Gruppe Männer vom Parkplatz zu vertreiben, die zu dieser frühen Stunde irgendeine seltsame Konstruktion neben der Straße aufbauten. »Kommt dir das Bellen noch bekannt vor?«, fragte ich Geli, als wir das Geländer erreichten und abermals am Rande des Abgrunds die Aussicht in den Talkessel bewunderten. »Welches …? Nein … Keine Ahnung!« Sie versuchte laut zu sprechen, um den unerträglichen Krach zu übertönen, den die Männer beim Abladen von Gerüststangen machten.
(?)
![]() Die Passstraße führt nach oben »Ob du dich an den Hund erinnern kannst?«, wiederholte ich meine Frage, die vorhin vermutlich im Lärm untergegangen war. »Meinst du …?« »Ja, genau. Sein Gebell war ein Zeichen der guten Hoffnung, als wir da oben am Verzweifeln waren.« Ich deutete auf den Turmberg. Die Aktivität der Männer nahm zu. Man konnte kaum noch seine eigene Stimme hören, als sie zum Verbinden der Stangen miteinander übergingen. »Was machen sie hier?«, wunderte sich Geli, nachdem wir das Treppchen zur Levada hochgegangen waren und es etwas ruhiger geworden war. »Ich würde sagen: Radrennen!«, mutmaßte ich. »Ich weiß nicht, was es wird, wenn es fertig ist, aber es hat etwas damit zu tun! Die Burschen sehen auch eher aus wie Schiedsrichter und nicht wie einfache Bauarbeiter. Da steht auch ein Truck mit Ersatzrädern. Siehst du?« »Ja«, gab sich Geli mit meiner Erklärung zufrieden und wir wanderten los. Den Abschnitt bis zur Gabelung, wo Levada do Norte in den Tunnel zur Nordseite abdrehte, gingen wir nunmehr zum vierten Mal entlang, sodass uns bis dorthin keine Überraschungen vom richtigen Weg abbringen konnten. Jede aus der Erde ragende Wurzel und jeder scharfkantige Stein auf dem Pfad waren bekannt. Der Platz vor dem Tunnel war menschenleer, umso wohler fühlten sich dort größere, grünliche Echsen, die sich auf den Betonplatten in der kühlen, frischen Morgenluft sonnten. Angelina machte Station, um Fotos von den Reptilien zu schießen, und holte vorsichtig ihre Kamera heraus, um die Tiere nicht zu verscheuchen. »Grand maximum«, erinnerte ich mich an einen weiteren lustigen Spruch, »grand maximum fünf Minuten, Madame.« Ich setzte Geli ein Zeitlimit, denn keiner von uns wusste, wie weit dieses Ende der Welt lag, wo die Levada anfing. Den Satz hatte ich genau an dieser Stelle gehört, von dem Franzosen, der den Tunnel mit der Taschenlampenfunktion seines Telefons erforschen wollte. Jammerschade, dass seine Madame ihm nicht so ganz traute! Das Pärchen hatte ich schon fast vergessen, aber die Geschichte war es wert, um sie nicht aus der Erinnerung zu löschen. Wir betraten den Tunnel und kamen gut voran. Auf der ganzen Länge der dunklen Röhre blitzte kein einziges Licht einer Taschenlampe auf, wir waren allein. War es noch zu früh oder machte sich die Straßensperre auf diese Weise bemerkbar? So oder so, eine Wanderung im engen Tunnel ohne Gegenverkehr war zweifelsohne besser, als sich alle drei Minuten an die raue Wand zu schmiegen, damit die Tunnelgänger aus der Gegenrichtung vorbeikonnten.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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