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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 102
»Aber nicht heute!«, erwiderte Angelina und nahm einen Schluck aus der Flasche. Es war die letzte Wasserflasche, aber es war noch genug Wasser da, um auf dem letzten Routenabschnitt nicht zu verdursten. Ich trank auch etwas und wühlte in Gelis Rucksack auf der Suche nach dem Rest der Schokolade. »Wo hast du denn die Schokolade?«, fragte ich sie. »In der Seitentasche«, antwortete meine Frau und nahm den Rucksack an sich. »Du findest nie etwas! Hier, bitte!« Ich brach ein Stück ab von der halben Tafel, die ich noch in der Verpackung fand, und reichte ihr den Rest. »Ich mag jetzt keine Schokolade«, lehnte sie ab. »Wie du willst.« Ich wickelte das verbliebene Stück wieder in die Folie ein und legte es zurück in die Rucksacktasche. Der zum Encumeadapass abfallende Bergkamm hatte das Wandern innerhalb der letzten paar Stunden zwar erheblich einfacher gemacht als der zum Pass ansteigende Weg von der alten Bogenbrücke unten im Tal, aber eine allgemeine Erschöpfung machte sich trotzdem im Körper breit. Wir waren immerhin schon seit gut zehn Stunden unterwegs in einem andauernden Auf und Ab zwischen diesen Hügeln. Wie schon heute Morgen vermutet, galt die Zeitangabe im Wanderführer definitiv nicht für uns, in fünf Stunden hätte die Strecke vielleicht Jean-Luke schaffen können. Wir hatten kurz vor neun Uhr, es dunkelte zusehends. Im nebeligen Zwielicht ließ sich die Umgebung nur schemenhaft erkennen. Als ich meine Notdurft verrichten musste und mich vom Pfad wegbegab, konnte ich Geli aus zwanzig Metern Entfernung nicht mehr ausmachen. Erkennen ließen sich dagegen ganz gut zahlreiche weiße Flecken auf dem Boden abseits des Weges. Ich war auf diesem Plateau offenbar nicht der Einzige, der die Notdurft verspürt hatte. Man konnte nachzählen, wie viele Wanderer vor mir schon diesen Ort besucht hatten, denn die verschwommenen weißen Kleckse waren nichts anderes als zusammengeknülltes Toilettenpapier. Es wurde langsam knapp mit dem Tageslicht und der dichte Nebel trug auch nicht gerade dazu bei, den Pfadverlauf nicht aus den Augen zu verlieren.
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![]() Orientierungshilfe: Ein Türmchen aus aufeinander gelegten Steinen »Und was ist, wenn wir es heute nicht mehr bis zum Hotel schaffen?«, machte sich auch meine Frau Sorgen, nachdem ich auf den Pfad zurückgekehrt war. »Dann müssen wir hier übernachten!«, sagte ich und nahm meinen Rucksack. »Es kann nicht mehr weit sein. Wenn bloß nicht der verdammte Nebel wäre, könnten wir bestimmt schon das Hotel sehen!« »Dass es nicht mehr weit ist, hast du schon vor einer Stunde gesagt. Seitdem laufen wir immer schneller, aber es ist kein Ende in Sicht. Müssen wir hier wirklich übernachten?« Ich sah sie an, denn sie klang wirklich verängstigt, und sagte: »Quatsch! Es wird schon gut gehen.« »Aber ins Restaurant kommen wir nicht mehr rein. Es wird zu spät sein!«, jammerte Geli weiter. In diesem Punkt hätte sie sogar recht haben können. Soweit ich mich erinnerte, hatte es bis zehn Uhr auf. Es hätte knapp werden können. Ich fragte mich auch, wo denn eigentlich die Anzeichen dafür blieben, dass der Pfad endlich auf die Nordseite drehte, er wäre vermutlich um den felsigen Sockel des Turmberges herum verlaufen, um uns auf der anderen Seite zum Pass hinunterzuführen, dort endete unsere Wanderroute. Aber genau wusste ich es nicht, es ergab sich auch nicht aus der Wegbeschreibung. Stattdessen liefen wir schon eine ganze Zeit lang immer noch auf der Südseite, an einer felsigen Wand entlang, die zu unserer Rechten in die Höhe ragte. »Aber Übernachten wäre ja auch eine gute Option, nicht wahr?«, machte ich mich über Angelina lustig. »Hör auf!«, erwiderte sie verärgert. »Wieso nicht? Du wolltest ja neulich im Curral übernachten, oder? Ach ja, mit dem Taxi nach Hause fahren wolltest du ja auch!«, riss ich weiter meine Witze. »Hör auf! Hier gibt es keine Taxen und keine Hotels! Hör auf!«, wurde sie noch ungehaltener. »Hast du unterwegs die alten Feuerstellen gesehen? Du wärst nicht die Erste!« »Los, gehen wir!«, sagte Geli mit großer Entschlossenheit, die keine Widerreden zuließ. »Schweig, du Narr!« »Gut. Dann brechen wir auf. Es gibt hier ein Hotel und mit etwas Glück werden wir dort heute noch übernachten!«
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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