Logo Leseecke
OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 101

Man musste kein Prophet sein, um zu wissen, was darauf folgte. Statt weiterzuwandern, holte sie seelenruhig den Fotoapparat heraus und machte Fotos vom gespaltenen Berg.

Die Eins-drei-Methode brachte uns erfolgreich zu einem flachen Abschnitt, auf dem der Pfad auf einem geräumigen Felsvorsprung wieder entlang irgendeiner tiefen Schlucht verlief, die nach irgendwohin in nördlicher Richtung abging. Ich war erfreulicherweise beim Aufstieg nicht zurückgefallen und Geli auf den Fersen gefolgt, immer ihre neongelbe Wanderhose im Blick. Es gab mehr grüne Vegetation, die felsigen Spitzen waren verschwunden. Hatten wir erneut die Wetterscheide überquert? Ich überlegte mit großer Besorgnis, ob der Vorsprung, auf dem wir wanderten, irgendwo unten am Hang auch einen Riss hatte, der den halben Berg auf eine Reise über die Schlucht zur Nordküste schicken konnte. Danach, was wir erst vor zehn Minuten gesehen hatten, konnte man sich etwas Ähnliches sehr gut vorstellen, meine Befürchtungen waren in höchstem Maße begründet. Der Pfad entlang der Schlucht schien aber relativ sicher zu sein. Zumindest ließ es sich ganz bequem darauf wandern. Mein Atem beruhigte sich und meine Beine bekamen wieder etwas Gefühl, die Schuhe kamen mir nicht mehr vor wie zwei Betonklötze, die einen am Boden festhielten. Ich fragte mich pausenlos voller Übermut: War das schon alles mit dem kräftigen Anstieg? Beinahe wollte ich mich schon abfällig über den Autor des Wanderführers äußern, der so eine Kleinigkeit ganz groß als einen kräftigen Gegenanstieg ankündigte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Der Weg traf vorne auf eine fast senkrechte Felswand. Es war keine Sackgasse. Der Pfad führte weiter in unzähligen Kehren auf den felsigen Vorsprüngen des Abhangs. Es war der kräftige Gegenanstieg.

»Heilige Scheiße!« Mir stockte der Atem.

Auch meiner Frau verging das Lachen, sie bemerkte nur: »Ja … nach einem kräftigen Anstieg …«

* * *

Der Nebel quälte uns schon seit zwei Stunden. Eigentlich seitdem wir vom Sattelpass unterhalb des Gipfels des Pico do Jorge einen letzten Blick auf den »Stall der Nonnen« geworfen hatten und dann den Wanderpfad zum Grat des Zentralmassivs an der Flanke des Berges hinuntergelaufen waren. Es war meiner Meinung nach genau der Bergsattel rechts vom Pico Grande, den wir schon während der Mittagspause im kahlen Lorbeerwald beobachtet hatten, denn ich konnte klar und deutlich die Spitze des Pico Ruivo sehen und darunter eine Stelle an seiner Flanke, die in der Ferne silbrig schimmerte, so wie nur die angesengten, rindenlosen Baumstämme des abgebrannten Waldes hätten schimmern können. Ich registrierte von oben dichte Wolkenhauben über der Wetterscheide in westlicher Richtung, bis hin zum Encumeadapass. Auch Paul da Serra, das sich in der Ferne erahnen ließ, hüllte sich in Nebelschleier. Danach, dass sich die Schwaden bald verzogen, schaute es am allerwenigsten aus. Es war Schicksal, einem blieb nichts anderes übrig, als es mit Würde zu ertragen.

(?)
Leseecke Schließen
Lesezeichen setzen
 
Erschöpft nach dem kräftigen Gegenanstrieg
Erschöpft nach dem kräftigen Gegenanstrieg

Ertragen musste ich auch die Schmach meines kläglichen Versagens während des Aufstieges zum Bergsattel. Ich wollte mich nicht mehr in allen Einzelheiten daran erinnern, ich wusste nur eins: »Kräftiger Anstieg« als Beschreibung dessen, was ich dort erlebt hatte, war ein Fantasieprodukt des Verfassers. In Wirklichkeit war es der helle Wahnsinn. Es hatte noch der Oberelf gefehlt, sonst wäre das Déjà-vu perfekt gewesen. Eins beruhigte aber, ich war nicht allein. Obwohl Geli eine gute Viertelstunde vor mir oben gewesen war und sich bis zu meinem Eintreffen hätte regenerieren können, fand ich sie immer noch völlig aufgelöst und teilnahmslos auf einem Stein. Sie saß und sah mit ihren gläsernen Augen in den Curral das Freiras hinunter. … nach einem kräftigen Anstieg.

Wir befanden uns gegenwärtig irgendwo auf dem halben Wege zwischen Pico do Jorge und dem Pass von Encumeada und legten eine Rast ein auf einem geräumigen Plateau, zu dem der relativ enge Bergrücken auf einmal geworden war. Ein Türmchen aus aufeinander gelegten Steinen neben uns kennzeichnete den Pfad, darauf war gut sichtbar die rotgelbe Routenmarkierung angebracht. Es war wahrscheinlich für Wintermonate gedacht, wenn Schneeverwehungen den Weg unter sich begruben. Nach Süden hin ging es steil nach unten in eine tiefe Schlucht, wenigstens ließ sich hinter der Kante des Plateaus ein bodenloser Abgrund vermuten – den Rest verschluckte der Nebel. Da unten musste irgendwo die steinerne Bogenbrücke sein, die wir schon kannten. Es war dasselbe Tal, wo wir mühevoll zum Pass nach oben geschritten waren nach dem nicht besonders glorreichen Aufstieg zum Fuße des Pico Grande. Im Norden schimmerte der Schatten einer riesigen Felswand durch die grauen Schwaden. Der Beschreibung im Wanderführer nach hätte es die mächtige Wand des Pico Ferreiro sein können, aber man konnte es nicht mit Gewissheit sagen, jegliche Orientierungshinweise fehlten. Es war feucht und sehr kühl. Den einzigen Trost spendete der Umstand, dass der Pfad immer leicht abfallend auf dem fast flachen Bergkamm verlief.

»Im Büchlein steht, dass man von hier schon die Mobilfunkmasten am Pass sehen kann«, erinnerte ich mich an die Beschreibung des Routenverlaufs.

| Seite 101 von 145 |

Günstige Downloads für Ihr Gerät

Das Geheimnis des vernebelten Passes
PDF
Titel: Das Geheimnis des vernebelten Passes
PDF Dokument: Format A5, 340 Seiten, Dateigröße 2.461 KB, Ausgeführte Dowloads 54, PDF-Reader zum Lesen erforderlich! Auch zum Lesen im Ebook-Reader geeignet
6,99 € N/A
Das Geheimnis des vernebelten Passes
EPUB
Titel: Das Geheimnis des vernebelten Passes
E-Book im ePub-Format: Anzahl Seiten deviceabhängig, Dateigröße 1.033 KB, deviceübergreifend optimiert, Ausgeführte Dowloads 41, e-Book Reader zum Lesen erforderlich!
6,99 € »Epubli Verlag
Das Geheimnis des vernebelten Passes Titel: Das Geheimnis des vernebelten Passes
Jetzt eine Printausgabe bestellen! Sie werden gleich auf die Seite des Verlages weitergeleitet, wo Sie Ihr Exemplar bequem erwerben können.
15,99 € »Epubli Verlag

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 12.012
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

Ihre Spende ist willkommen!

Wir stellen Ihnen gerne alle Inhalte unserer Webseite kostenlos zur Verfügung. Sie können die Werke auch in der E-Book-Version jederzeit herunterladen und auf Ihren Geräten speichern. Gefallen Ihnen die Beiträge? Sie können sie alle auch weiterhin ohne Einschränkungen lesen, aber wir hätten auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie sich bei den Autoren und Autorinnen mit einer kleinen Zuwendung bedanken möchten. Rufen Sie ein Werk des Autors auf, an den Sie die Zuwendung senden wollen, damit Ihre Großzügigkeit ihm zugutekommt.
Tragen Sie einfach den gewünschten Betrag ein und drücken Sie auf "jetzt spenden". Sie werden anschließend auf die Seite von PayPal weitergeleitet, wo Sie das Geld an uns senden können. Vielen herzlichen Dank!

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Kreisende Punkte
Leseecke Schließen